Nachdem die Eigentümerin von Adolf Hitlers Geburtshaus den Vertrag mit dem Innenressort kündigte, will die Regierung das Gebäude ultimativ vor dem Zugriff NS-naher Kreise schützen.
Der Zustand der sandfarbenen Fassade ist nicht mehr der beste. Die Inschrift über den vergitterten Fenstern des Erdgeschoßes („Volksbücherei Braunau“) lässt nicht darauf schließen, dass das Haus, das unter der Einlagezahl 217 im Grundbuch verzeichnet ist, auf seine Art und Weise die begehrteste Immobilie der Nation ist. So begehrt, dass die Republik Österreich das Haus nun zu ihren Gunsten enteignen will. Der Grund dafür: Am 20. April 1889 wurde in einer Mietwohnung des Komplexes Adolf Hitler geboren.
Dass der Staat mit aller Macht nach dem Gebäude greift, das mit einem der finstersten Kapitel der Weltgeschichte verbunden ist, wurde in den "Oberösterreichischen Nachrichten" berichtet. Seit fünf Jahren steht es – obwohl es an die Republik vermietet ist – leer. Weil Eigentümerin Gerlinde P. zuletzt versucht hatte, den Bund als Hauptmieter zu kündigen und zudem Verkaufsabsichten andeutete, schrillten im Innenministerium die Alarmglocken. Nun will die Regierung Fakten schaffen.
Der „Presse am Sonntag“ liegt der Entwurf des „Bundesgesetzes über die Enteignung der Liegenschaft Salzburger Vorstadt Nr. 15, Braunau am Inn“ vor (siehe Faksimile). Weil das bestehende rechtliche Instrumentarium, wie es für die Errichtung von Eisenbahn- oder Autobahntrassen angewandt wird, in diesem Fall nicht greift, braucht es eine spezifische legistische Grundlage. In Regierungskreisen kursiert der Begriff einer „Lex Hitler-Haus“. Das Vorhaben hat jedoch nicht nur mit seinem einstigen Bewohner zu tun. Ausgelöst hat es die Eigentümerin, deren Verhältnis zur Republik jedenfalls nicht als friktionslos bezeichnet werden kann. Die Vorgeschichte ist genauso spannend wie kompliziert.
NSDAP war bereits Eigentümer. Die Adresse Salzburger Vorstadt 15 wurde nämlich schon einmal enteignet und entschädigt. Es waren die Nazis selbst, die das Haus aus dem Eigentum der Familie P. in den Besitz der NSDAP überführten, eine Kultstätte zu Ehren des „Führers“ planten. Nach dem Ende ihrer Herrschaft ging das Gebäude an die Familie zurück. Und die Republik nutzte die Gelegenheit, als Hauptmieter den Einzug dubioser Gestalten zu verhindern. Wahrgenommen wird diese Form strategisch geplanter und rechtlich abgesicherter Hausbesetzung vom Innenministerium. Warum?
Zum einen hat das damit zu tun, dass das Ressort mit der Zuständigkeit für die KZ-Gedenkstätte Mauthausen Fachkompetenz im Umgang mit NS-belasteten Immobilien hat. Zum anderen besteht in NS-nahen Kreisen bis heute großes Interesse am Geburtshaus Adolf Hitlers. Kreise, für die sich seit jeher eine weitere Abteilung des Innenministeriums interessiert: der Verfassungsschutz.
Das Innenressort vermietete das Haus an die Stadt Braunau weiter, und die bis zuletzt an eine Einrichtung der oberösterreichischen Lebenshilfe. Weil P. die nötigen Umbauten für den barrierefreien Zugang für Behinderte untersagte, zog die Organisation 2011 wieder aus. Seither steht das Haus leer. Für 5000 Euro Miete pro Monat.
Nachdem die Republik der Eigentümerin Ende 2014 den Kauf des Gebäudes anbot, sprach diese die Kündigung des Mietvertrages aus, deutete Verkaufsabsichten – an wen auch immer – an. Zwar war die Kündigung wegen formaler Fehler unwirksam, dennoch stieg bei den verantwortlichen Beamten der Blutdruck: Wie könne man zuverlässig verhindern, dass die Immobilie in die falschen Hände gerät?
Mitte 2015 und Anfang 2016 folgten zwei weitere Kaufangebote, die beide unbeantwortet blieben. Seither arbeiten das Innenministerium und der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts an der Enteignung.
Geplant ist eine Entschädigung in der Höhe des Marktwerts. Eine Kommission soll anschließend die Art der Nachnutzung bestimmen. Denkbar ist alles, worüber bereits diskutiert wurde: Nutzung als Verwaltungsgebäude, Errichtung einer kulturellen Einrichtung mit Bezug zur NS-Zeit oder die neuerliche Verwendung durch eine mildtätige Organisation.
In Zahlen
15Hausnummer der Braunauer Adresse „Salzburger Vorstadt“, in der das Gebäude steht.
1889Jahr, in dem Adolf Hitler hier geboren wurde.
5000Euro Miete haben das Innenministerium und die Stadt Braunau bisher monatlich an Eigentümerin Gerlinde P. überwiesen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2016)