Bahnhöfe: Der leise Abschied vom Kofferkuli

Die ÖBB lassen ihre Fahrgäste nun selbst schleppen – oder ziehen. Trolleys ersetzen Gepäckswagerln.
Die ÖBB lassen ihre Fahrgäste nun selbst schleppen – oder ziehen. Trolleys ersetzen Gepäckswagerln.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Gepäckswagerln auf Bahnhöfen sind Geschichte. In Zeiten von Rollkoffern braucht man sie nicht mehr, außerdem sind sie für die Bahn mittlerweile zu teuer. Ein Nachruf.

Wien. Es ist ein fast unbemerkter Abschied. Ohne, dass man sie groß vermisst hätte, sind die Kofferkulis, wie man die Gepäckswagerln in der offiziellen Diktion der ÖBB noch immer nennt, von den Bahnhöfen verschwunden. Das Bild von Passagieren, die ihre Koffer und Taschen auf die Metallwagen schlichten und schieben, es ist Geschichte – beziehungsweise gehört es nun nur noch auf die Flughäfen.

Der Wiener Hauptbahnhof wurde als erster Bahnhof gleich ganz ohne Stellplätze für Kofferkulis geplant und eröffnet. Auch auf dem Westbahnhof oder den anderen größeren Bahnhöfen, auf denen es dieses Service jahrzehntelang gab, in Linz, Salzburg oder Innsbruck, wurden sie bereits entfernt, wie die ÖBB bestätigen. Warum sie abgeschafft wurden? Man brauche sie nicht mehr. ÖBB-Sprecher Michael Braun berichtet von „geänderten Kundenbedürfnissen“: Anders als früher kommen Passagiere heute nicht mehr mit Koffern, die sie tragen müssen, sondern rollen ihre Trolleys.

Auch an Taschen oder großen Rucksäcken sind schon Rollen montiert, die Gepäckswagerln überflüssig machen. Diese wurden seit Jahren immer weniger genutzt, dem gegenüber standen hohe Anschaffungskosten von mehreren hundert Euro pro Stück. Auch wurden sie immer wieder gestohlen, mutwillig beschädigt, auch bei den Liften kam es häufig zu Beschädigungen, weil jemand mit einem Wagerl dagegenfuhr. Die Folge: Ausfälle und Reparaturkosten.

Mysteriöse Wagerl-Diebe

Aus all diesen Gründen haben die ÖBB schon vor rund zehn Jahren beschlossen, das Kofferkuli-Service nach und nach auslaufen zu lassen, so Braun. Auf kleineren Bahnhöfen gab es die Wagerln ohnehin nie, bei den anderen wurden die Stellplätze und Wagerln sukzessive entfernt. Wie der neue Wiener Hauptbahnhof sollen auch alle künftigen neuen Projekte ohne Kuli-Service geplant werden. Auch weil neue oder renovierte Bahnhöfe vollständig barrierefrei werden – der Transport von Gepäck für die Kunden ohnehin bequemer werde, heißt es von der Bahn. Mit diesen und ähnlichen Argumenten haben schon die Deutsche Bahn und die Schweizerischen Bundesbahnen 2010 bzw. 2013 erklärt, warum sie dieses Service ebenfalls größtenteils abschaffen.

Gerade in Deutschland war ein Grund aber auch, dass die Bahn das Problem Diebstahl nicht in den Griff bekommen konnte, das vor allem auf dem Bahnhof Frankfurt bestand. Dort scheiterte auch der Versuch, die Wagerln mit einer elektronischen Wegfahrsperre, die aktiviert wird, sobald ein festgelegter Bereich verlassen wird, zu sichern. 2010 wurde dort trotzdem jeder zweite von 50 neu angeschafften Kulis binnen weniger Wochen gestohlen. Schließlich hatte die Deutsche Bahn genug und gab das Service auf. Wozu stiehlt man aber ein Gepäckswagerl? Dieses Mysterium wurde nie aufgeklärt. Es wurde spekuliert, dass das mit der Rohstoffmafia zu tun haben könnte, die die Wagerln einschmelzen würde.

Von Bahn-Gewerkschaften und Taxifahrern kam zwar heftige Kritik, dass die Passagiere nun schleppen müssen. Die Kofferkulis waren trotzdem Vergangenheit. 99 Prozent der Kunden würden den Service heute einfach nicht mehr nutzen. Apropos veraltet: Das ist der Kofferkuli ja auch dem Begriff nach. „Kuli“ ist der Hindi-Begriff für Lastenträger. Und während es in Indien die menschlichen Kulis, die Lastenträger, auf allen Bahnhöfen nach wie vor gibt, sollte man den Begriff andernorts lieber nicht mehr verwenden. Gilt er doch als abschätzig. In den USA zum Beispiel nannte man chinesische Einwanderer eine Zeit lang so, wenn man schlecht über sie reden wollte.

Aber nennt sie bitte nicht Kuli

Bei uns sind die Kofferkulis nun ohnehin Geschichte – ausgenommen der Flughäfen natürlich. Wer aber sein Gepäck nicht selbst tragen kann oder will, dem raten die ÖBB zum Haus-zu-Haus-Gepäcksservice. Dabei holt ein persönlicher Gepäckträger dieses zu Hause ab und stellt es am Zielort zu. Kostenfrei für die Kunden, wie die Wagerln, ist dieser Träger freilich nicht. Und Kuli sollte man ihn wohl lieber auch nicht nennen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2016)

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