Praterstern: "Es ist ein Sumpf geworden, schreiben Sie das"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Praterstern ist ein Schmelztiegel vieler sozialer Randgruppen, die man in Wien vermehrt sieht. Und damit ein Symptom der Entwicklung einer ganzen Stadt. Wie Streetworker und Sozialarbeiter dort eingreifen wollen.

Am Praterstern hat jeder seinen Lieblingsplatz. Bevölkert von vielen Menschen am Rande der Gesellschaft, ist der Stern, wie diese ihn gern nennen, fein aufgeteilt. Die Alkoholiker, viele aus Osteuropa, einige psychisch krank, halten sich eher im Areal in Richtung Tegetthoff-Denkmal auf. Die Drogenszene trifft sich vor dem Haupteingang und an den überdachten Bahnsteigen, wo Busse und Straßenbahnen wegfahren – am Praterstern wird vorwiegend gehandelt, weniger konsumiert. Prostituierte sehen sich im Zwischengeschoß nach Kundschaft um. Junge Flüchtlinge und Migranten, die sich dort die Zeit vertreiben, sieht man oft, wie sie das Treiben in der Halle beobachten oder wie sie in Gruppen neben dem McDonald's stehen. Jetzt, da es warm wird, verlagert sich das Treiben auch auf die Kaiserwiese in Richtung Riesenrad. Im Winter, als es kalt war, haben sie sich in den Wettcafés aufgehalten, dort ein paar Euro verspielt. Zu guter Letzt ist der Praterstern ein Treffpunkt für Jugendliche geworden, die hier am Abend vor dem Fortgehen vorglühen. „Es ist ein Sumpf geworden, schreiben Sie darüber“, sagt ein Obdachloser beim Lokalaugenschein.

Was sich hier geballt abspielt, ist symptomatisch für eine Entwicklung, die sich vielerorts in ganz Wien zeigt und vermehrt Brennpunkte hervorbringt: Wirtschaftskrise, Armutsmigration aus Osteuropa, ein fehlgeschlagenes Drogengesetz (siehe links), eine Flüchtlingskrise, die zur Integrationskrise geworden ist: Das ist sozialer Sprengstoff, da sind sich Experten einig. Polizei und Sozialarbeiter sind am Praterstern mittlerweile im Dauereinsatz. Zehn Mitarbeiter der mobilen Sozialarbeit SAM, die zur Suchthilfe gehören, sind Ansprechpersonen für die Geschäftsleute, die Passanten und in erster Linie für die Problemklientel.


Asylwerber auf der Kippe.
Man wolle sich vor allem um junge Asylwerber kümmern, die in die Drogenszene abrutschen könnten, hieß es am Freitag von Polizei und Suchthilfe. Im Fokus stehen junge Afghanen, die – oft schlecht gebildet, viele sind Analphabeten, traumatisiert vom Krieg – zu hoffnungslosen Fällen zu werden drohen. In den vergangenen Wochen gab es mehrere schwerwiegende Vorfälle, für das meiste Entsetzen hat zuletzt die Vergewaltigung einer Studentin gesorgt.

Wie die Sozialarbeiter von SAM mit Afghanen und den arabischstämmigen Menschen, die sich am Praterstern aufhalten, arbeiten wollen, ist aber fraglich. Auf „Presse“-Anfrage stellte sich heraus, dass niemand aus dem Team Arabisch oder Farsi spricht. Dolmetscher gibt es keine. „Wir teilen Flugzettel aus. Manchmal spricht einer Englisch oder Französisch. Dazu hoffen wir, dass die Flüchtlinge Sprachkenntnisse erwerben“, heißt es von der Suchthilfe.

Dafür sprächen aber viele der Sozialarbeiter Ostsprachen – das ist am Praterstern wichtig. So kommen viele der Prostituierten auf dem sogenannten U-Bahn-Strich, der sich gerade entwickelt, aus Rumänien. Seit der Straßenstrich in Wien mit dem Prostitutionsgesetz weitgehend abgeschafft wurde, verlagert sich dieser vermehrt in die U-Bahn. Die Szene siedelt sich am Westbahnhof wie auch am Praterstern an – Frauen, die unauffällig gekleidet sind, sprechen Männer in der Station an und ziehen sich mit ihnen gegebenenfalls in nahe Parks zurück oder fahren ein paar Stationen auf die Donauinsel. Die Polizei stuft diese Entwicklung derzeit aber als Randphänomen ein.

Auch sicherlich nützlich sind die Sprachkenntnisse der Sozialarbeiter, wenn sie sich mit jenen Menschen beschäftigen, die vor allem am Abend den Praterstern aufsuchen, um hier beim Canisibus der Caritas zu essen. Viele von ihnen kommen gerade vom Schwarzarbeiterstrich – oder illegalen Baustellen, wo sie sich ein paar Euro verdienen. Manche von ihnen haben sogar kleine legale Jobs in Wien, aber zu wenig Geld, um sich eine richtige Wohnung leisten zu können.


Die Obdachlosen haben Gesellschaft.Allein im März haben die Leute vom Canisibus 1000 Portionen Essen mehr ausgeteilt als im März 2015. Der Bus macht hier seit vielen Jahren jeden Abend halt – ursprünglich, um die traditionell angesiedelten Obdachlosen zu versorgen.

Für diese Gruppe hat das Rote Kreuz vor gut einem Jahr das Tageszentrum Stern in der nahen Darwingasse eröffnet. 30 Wohnungslose, so Martina Pint, die Leiterin, halten sich dort jeden Tag auf, mehrmals täglich gehen Mitarbeiter zum Praterstern, um ihre Klientel darauf (und auf Beratungsmöglichkeiten) aufmerksam zu machen. Wiens Drogenkoordinator, Michael Dressler, hat die Zahl der Alkoholiker am Praterstern zuletzt mit 50 beziffert. Typischerweise sind das Osteuropäer, meist aus Polen oder Ungarn.

Aber auch viele Österreicher sind darunter. Immer wieder hört man, die Obdachlosenszene verlagere sich zunehmend in den Bezirk hinein. Verdrängt von der Drogenszene, von den arabischstämmigen Problemgruppen. Martina Pint sagt, unter ihren Klienten höre man aber kaum von Konflikten untereinander, „die Gruppen haben am Praterstern alle ihre Plätze“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2016)

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