Die blau-grüne Spaltung Wiens

(c) Stanislav Jenis
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Die Bundespräsidentenwahl zieht tiefe Gräben durch die Stadt. Nichts demonstriert das besser als die grüne, urbane Hochburg Neubau und der blaue Arbeiterbezirk Simmering.

Paul Stadler und Thomas Blimlinger trennen Welten. Zumindest politisch. Blimlinger, der erste grüne Bezirkschef Österreichs, regiert seit 2001 in Wien Neubau und lebt mitten in der gelben Zone. Paul Stadler, seit der Wien-Wahl vor fünf Monaten erster FPÖ-Bezirkschef in Wien, lebt in der blauen Zone. Dazwischen verläuft eine scharfe Trennlinie, welche die Stadt in zwei Blöcke teilt.

Die gelbe Zone, das sind (auf der Internetseite der Stadt Wien) jene Bezirke, in denen der zumindest offiziell unabhängige Präsidentschaftskandidat und Ex-Grünen-Chef Alexander Van der Bellen beim ersten Wahlgang die Mehrheit erreicht hat. Diese Zone erstreckt sich ausgehend von der Donau über die Leopoldstadt bis an den westlichen Stadtrand in Hietzing. Es ist also der großteils urbane, innerstädtische Raum.

Auf der anderen Seite liegt die blaue Zone. Dort, wo FPÖ-Kandidat Norbert Hofer vor wenigen Tagen die meisten Stimmen bekam, während Ex-Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) und Ex-Nationalratspräsident Andrea Khol (ÖVP) in ein Debakel schlitterten. Dieser blaue Teil zieht sich von jenseits der Donau über das südliche Wien – von der Donaustadt über Simmering bis Liesing. Dort herrschen die Weiten der Außenbezirke.

Gegensätze. Es ist eine Entscheidung zwischen Gegensätzen, die am 22. Mai in der Stichwahl zur Wahl des Bundespräsidenten getroffen wird. Diese Gegensätze zeigen sich nirgendwo in der Republik so deutlich wie in Wien, wo zwei Bezirke symbolisch für die beiden Fraktionen stehen. Und auch den polarisierenden Kampf um das höchste Amt im Staat.

Das urban-innerstädtische Neubau unter Führung des studierten Ökonomen Thomas Blimlinger (59) hat im ersten Wahlgang mit 53 Prozent das beste Wien-Ergebnis für Van der Bellen eingefahren. Der blau regierte Arbeiter- und Außenbezirk Simmering unter dem gelernten Karosseriespengler Stadler (60) mit 41,2 Prozent das beste für Hofer. Blimlinger ist das Enkelkind des parteilosen Nachkriegsjustizministers und Sportfunktionärs Josef Gerö – Stadler der Sohn eines Händlers für Flüssiggas.

Scharfe Trennlinie. Auch die politische Trennlinie zwischen Neubau und Simmering kann österreichweit nicht schärfer ausfallen. Keine grüne Landespartei ist so weit links positioniert wie die Wiener Grünen unter der Führung von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou. Und keine blaue Landespartei hat den Ruf, so weit rechts positioniert zu sein wie die Wiener Blauen, deren Landesparteichef Heinz-Christian Strache heißt, der in seinem Landtagsklub zahlreiche schlagende Burschenschafter versammelt hat.

Gibt es etwas Verbindendes – bei aller Unterschiedlichkeit? Blimlinger und Stadler überlegen lang. „Wir sind beide Bezirksvorsteher, in der Praxis haben wir aber keine Berührungspunkte.“ „Sport, vielleicht“, meint Stadler. „Darauf können wir uns einigen“, antwortet Blimlinger.

Zusammengearbeitet haben sie als Bezirksvorsteher bisher noch nie. „Er vertritt einen Außenbezirk, ich einen Innenbezirk“, meint Blimlinger. Hier gebe es unterschiedliche Interessen und Aufgabenstellungen und eben keine Berührungspunkte. Eine Zusammenarbeit ist für beide nur auf streng fachlicher Ebene vorstellbar – wenn es um Geld geht. Konkret, wenn es einen gemeinsamen Vorstoß aller Bezirke für mehr Budget von der Stadtregierung geben würden, wären beide dabei.

Es gibt trotzdem etwas Verbindendes zwischen den beiden Bezirken – im wahrsten Sinn des Wortes. Verlässt Blimlinger seine Bezirksvorstehung und steigt in der neu gestalteten Mariahilfer Straße in die U3 ein, steigt er elf Stationen später vor der Bezirksvorstehung von Paul Stadler aus – und umgekehrt. In der Mitte, zumindest geografisch auf der Linie U3, findet das Treffen zu dem Fototermin der „Presse am Sonntag“ statt. Trotz aller Unterschiede zwischen Grünen und FPÖ, die in dem laufenden Bundespräsidentenwahlkampf wieder aufbrechen: Ein persönliches Problem miteinander haben Blimlinger und Stadler nicht.

Stadler ist zwar FPÖ-Politiker, trägt die Linie der Partei natürlich mit, gilt aber nicht als blauer Hardliner vom rechten Flügel der Strache-Partei, sondern als Pragmatiker: „Ich bin Bezirkspolitiker“, meint er. Ihm gehe es darum, Projekte in Simmering umzusetzen. Mit dem Bundespräsidentenwahlkampf habe er nicht viel zu tun, aber: „Mit 41 Prozent hat Norbert Hofer in Simmering das beste Bezirksergebnis in Wien erreicht. Das heißt, dass ich meine Aufgabe sicher nicht so schlecht gemacht habe.“

Blimlinger galt bei den Grünen schon immer als Realo – als Pragmatiker und nicht als Ideologe, als sich die Wiener Grünen einen erbitterten Flügelkampf leisteten, so wie die SPÖ das heute macht. Den Bezirk verändern, zeigen, dass Grüne regierungsfähig sind und was die grüne Handschrift in der Praxis bedeutet. Das war nicht nur sein Anspruch, als er 2001 in die Bezirksvorstehung in der Hermanngasse zog. Die damalige Gemeinderätin, Maria Vassilakou, die neun Jahre später als Vizebürgermeisterin von Österreichs erster rot-grüner Landesregierung angelobt wurde, betonte damals die Symbolik für die Regierungsfähigkeit der Grünen. Ebenso wie der damalige grüne Bundesparteichef. Es war ein gewisser Alexander Van der Bellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2016)

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