Staatsschutz: Gesellschaft driftet auseinander

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Die Migrationsbewegung des Jahres 2015 mobilisierte ideologisch extreme Pole. Gewalt zwischen Rechten und Linken wird „realistisches Szenario“. Die Zahl der Reisebewegungen von Jihadisten ging stark zurück.

Wien. Einmal im Jahr informiert das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) die Öffentlichkeit über demokratiegefährdende Entwicklungen. Und jedes Jahr, das ist auch heuer nicht anders, stehen Statistiken über rechts- und linksextreme Aktivitäten, jihadistische Umtriebe sowie ausländische Spionagetätigkeit im Scheinwerferlicht der Medien. Die vermutlich bedeutendste Beobachtung des Staatsschutzes für das Vorjahr kam am Montag jedoch viel leiser daher. Sie beschreibt nämlich eine Entwicklung von strategischer Bedeutung für das Land.

„Es kommt zu einem Auseinanderdriften der Gesellschaft.“ Konrad Kogler ist Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit und damit Österreichs oberster Polizist. Über ihm steht nur der Innenminister. Als Vertreter jenes aus knapp 30.000 Beamten bestehenden Apparats, der im Inland das Gewaltmonopol ausübt, wählt er seine Worte stets mit Bedacht. Für seine Verhältnisse ist die aktuelle Diagnose eine überraschend deutliche Warnung, vielleicht auch ein Weckruf. Das in Bezug auf weltanschauliche Extrempositionen einst so gemütliche Österreich scheint sich zu verändern.

Identitäre reizen Grenzen aus

Wie sehr, das beschreiben die Analysten des Staatsschutzes in ihrem Bericht sehr präzise. Wenig überraschend nennen sie die starke Migrationsbewegung des Jahres 2015 als Auslöser für eine „Polarisierung im öffentlichen Raum“. Rechtsextreme, asyl- und fremdenfeindliche Strömungen nutzten das Phänomen, um sich bei immer mehr Gelegenheiten mit Aktionismus in Szene zu setzen. Genaue Zahlen bleibt das BVT – auch auf Nachfrage – schuldig, spricht jedoch von einem „signifikanten Anstieg von Mitgliedern und Sympathisanten“ der Bewegung der sogenannten Neuen Rechten. Dabei nennen die Staatsschutzanalysen kein einziges Mal das Kind beim Namen: Gemeint ist die zuletzt verstärkt durch politischen Aktionismus aufgefallene Identitäre Bewegung.

Der Grund, warum sich das BVT in Bezug auf die Identitären mit der Wortwahl fast schon auffällig zurückhält, ist, dass zumindest den führenden Köpfen der Gruppe strafrechtlich bisher nichts nachzuweisen war. Vielmehr reizen diese die Möglichkeiten des Rechtsstaats so weit es geht aus.

Anders stellt sich die Lage bei den ideologisch gefestigten (Neo-)Nationalsozialisten dar. Ihnen bescheinigt das Amt eine „zunehmende Provokationsfreudigkeit und auch Gewaltbereitschaft“ in Bezug auf den politischen Gegner. Das, und eine zunehmende Radikalisierung der Sprache (Stichwort: Verhetzung über das Internet) führte dazu, dass die Zahl der rechtsextrem motivierten Straftaten im Vorjahr den höchsten Wert seit Beginn der Aufzeichnungen in dieser Form erreichte (1691, siehe auch Grafik).

Gewalt wird „realistisches Szenario“

Zwar ging die Summe der Straftaten im linksextremen Spektrum zurück, dennoch sind sich Ermittler und Analysten im Staatsschutz einig, dass das zusehends öffentliche Werben um die eigene Ideologie das Potenzial zur Eskalation hat.

Ein BVT-Bericht beschreibt das in der amtstypischen Sprache so: „Die merkbare Steigerung der Provokationsfreude und Aggression von fremden- und asylfeindlichen Bewegungen bei öffentlichen Zusammentreffen mit linken bzw. Pro-Asyl-Aktivisten lässt für die Zukunft den Einsatz physischer Gewalt als realistisches Szenario erwarten.“ Dabei sei es nicht ausgeschlossen, „dass sich die Gewalt (. . .) nicht nur gegen den ideologischen Gegner richtet, sondern auch Drittziele (Exekutive, Privatpersonen, öffentliches und privates Eigentum) davon betroffen sind“.

Integration als Terrorprävention

Trotz der zunehmenden Polarisierung der Bevölkerung nennt der Verfassungsschutzbericht in Bezug auf die größte akute Bedrohung für die öffentliche Ordnung einmal mehr den islamistischen Extremismus. Das Amt bewertet die Terrorgefahr für Österreich und die EU ausdrücklich als „erhöht“ und sagt deutlich, dass Investitionen in die Integration von Flüchtlingen und Migranten Investitionen in die innere Sicherheit des Landes seien. Gelängen diese nicht, dann müsse man damit rechnen, dass die betroffenen Personen von Extremisten geworben werden.

Aus dem Lagebericht des Staatsschutzes kann man ebenfalls ableiten, welche Bedeutung der aktuell in Graz vor Gericht stehende Prediger Mirsad Omerovic (alias Ebu Tejma) für die Rekrutierung von kampf- und reisewilligen Jihadisten gehabt haben dürfte. Er und mehrere Mitglieder seines Netzwerks wurden 2014 im Rahmen einer Großrazzia festgenommen. In diesem Jahr wurden beim Staatsschutz noch 136 Personen aktenkundig, die sich dem Islamischen Staat anschließen wollten oder es auch taten. Im Jahr nach der Operation Palmyra waren es nur noch 59. Inzwischen gab es erste Verurteilungen. Über Omerovic wurde allerdings noch nicht entschieden. (awe)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2016)

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