Warum Gewaltdelikte zunehmen

Bei einem Open-Air-Fest in Nenzing tötete der Amokläufer zwei Menschen.
Bei einem Open-Air-Fest in Nenzing tötete der Amokläufer zwei Menschen.APA/RONALD VLACH
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Leistungsdruck, Aggressionsstau und Drogenmissbrauch tragen Psychiater Reinhard Haller zufolge dazu bei, dass „schwere Aggressionshandlungen“ zuletzt zugenommen haben.

Wien. Ein Mann holt nach einem Streit mit seiner Freundin seine Kalaschnikow von zu Hause und schießt auf einem Festival wahllos in die Menge. Er tötet zwei Menschen, verletzt zwölf weitere und erschießt sich dann selbst. So geschehen in der Nacht auf Sonntag in Vorarlberg. In Graz wollte ein Mann vor zwei Wochen seine Frau und beide Kinder mit dem Auto überfahren – sie überleben schwer verletzt. Anfang Mai erschütterte der „Eisenstangenmord“ ganz Österreich, als ein illegal in Österreich lebender Kenianer eine ihm unbekannte Frau erschlug.

Solche „schweren Aggressionshandlungen“ nehmen nicht nur in der gefühlten Wahrnehmung zu, ihre Zahl sei in den vergangenen Jahren auch statistisch langsam, aber stetig gestiegen, sagt Psychiater Reinhard Haller. Während gewöhnliche Aggressionshandlungen – also Taten, die keine schwere Körperverletzung oder Tötung zur Folge haben – nicht mehr werden.

Aggression und Hormone

„Im Schnitt erleben wir in Österreich alle zwei Jahre einen Amoklauf oder etwas Amok-Ähnliches“, sagt Haller. Er nennt dafür eine Reihe von Erklärungen. Zum einen würden wir in einer Gesellschaft leben, in der es im beruflichen Kontext immer weniger Möglichkeiten gibt, sich körperlich abzureagieren. „Manche kompensieren das durch Sport, andere nicht, was zu einem Aggressionsstau führen kann“, meint Haller. „Vor allem bei jüngeren Männern. Am gefährdetsten sind Männer zwischen 20 und 30.“ Warum das so ist, sei schwer zu erklären. Die hormonelle Ausstattung dürfte dabei ebenso eine Rolle spielen wie Abnormitäten im Gehirn und die Sozialisierung, die bei Männern eher in Richtung Wettkampf und Auseinandersetzung ausgerichtet sei als bei Frauen. Haller: „Weibliche Aggression ist eher introvertiert, männliche hingegen nach außen gerichtet.“

Ein zweiter Grund sei eine zunehmend auf rasche Lösungen abzielende Geisteshaltung im Alltag. Und Aggression sei, so zynisch es klingen mag, die rascheste Lösung für ein Problem. Hinzu kämen aggressionsfördernde Drogen – vor allem Amphetamine (Speed). „Nicht zuletzt machen sich auch gewisse Migrationsbewegungen bemerkbar, obwohl ich das nicht skandalisieren will“, sagt Haller. „Bei Tschetschenen beispielsweise oder Kosovo-Albanern ist die Hemmschwelle zur Gewalt wegen ihrer Sozialisierung generell niedriger. Spannungen wie Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit tun ihr Übriges.“ Da der Amokläufer in Vorarlberg mit einer Kalaschnikow schoss, entfachte die Tat erneut eine Debatte über Waffenbesitz. „Wie eigentlich nach jedem Amoklauf mit einer Schusswaffe“, sagt Haller. „Tatsächlich gibt es beim klassischen Amoklauf immer zwei typische Befunde: Rachegedanken aufgrund einer Kränkung. Und die Griffnähe zur Waffe.“

Wenn jemand eine Waffe besitzt, müsse davon ausgegangen werden, dass er mit dem Gedanken spiele, sie früher oder später zu verwenden. „Denn sonst würde er sich ja keine besorgen. Selbst dann, wenn er sie nur besitzt, um sich gegen einen möglichen Angreifer zu wehren.“ Jedenfalls sei der Besitz einer Schusswaffe immer ein Zeichen des Gefühls von Schwäche.

Das Bemerkenswerte daran sei, dass eigentlich viel mehr Frauen Interesse daran haben müssten, zu ihrem Schutz eine Waffe zu tragen. Aber in der Realität seien es zumeist „gestandene Mannsbilder“, die Waffen besitzen würden.

Frust gegen die Welt

Ebenfalls typisch für Amokläufer ist laut Haller, dass sie nicht gezielt auf bestimmte Personen losgehen, „sondern ihren Frust gegen die Welt an Menschen ablassen, die zur falschen Zeit am falschen Ort sind“. Inselaussparung nennt sich das Phänomen: Dabei werden nahestehende Personen inselförmig ausgenommen. Wie beim Amokläufer in Vorarlberg, der in die Menge schoss, aber seine neben ihm stehende Freundin verschonte.

ZUR PERSON


Reinhard Haller
ist Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe. Er verfasste unter anderem Gutachten in den Fällen zu Jack Unterweger, Franz Fuchs und beim Amoklauf von Winnenden bei Stuttgart. Er ist zudem Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschien „Die Macht der Kränkung“. [ Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2016)

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