Lungau: Im Land der Riesen

Fast sieben Meter hoch und teilweise mehr als 100 Kilogramm schwer: einige der Samsone des Lungaus.
Fast sieben Meter hoch und teilweise mehr als 100 Kilogramm schwer: einige der Samsone des Lungaus.(c) TB Lungau
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Seit Hunderten Jahren werden im Lungau Samsone, riesige Holzfiguren, herumgetragen. Warum genau, weiß man nicht.

Es gibt ein paar Menschen im Lungau, die man bei den zahlreichen Zelt- und Musikfesten besser nicht herausfordert. Michael Fuchsberger ist einer von ihnen. Nicht, dass der 24-Jährige besonders furchterregend aussehen würde. Es ist seine Freizeitbeschäftigung, die potenzielle Herausforderer abschrecken sollte: Fuchsberger trägt den Samson in Tamsweg. Das mag außerhalb des Bezirks nicht vielen etwas sagen, im Lungau ist aber jedem klar, dass Michael Fuchsberger deshalb zu den stärkeren Bewohnern gehört.

„So schwer ist er auch nicht“, sagt der 24-Jährige, und untertreibt damit maßlos. Er könnte mit vier Sack Zement auf seinen Schultern durch die Ortschaft spazieren und würde damit immer noch leichter tragen als am Samson. Aber vier Sack Zement hat noch nie jemand getragen, der dafür bezahlt wird – ganz sicher kein Maurer. So ein Gewicht nimmt man nur auf sich, wenn man leidenschaftliches Mitglied eines Traditionsvereins ist.

Der Samson also. Er geht auf eine Hunderte Jahre alte Tradition zurück und symbolisiert die alttestamentarische Figur mit ihren übernatürlichen Kräften. Im Lungau gibt es zehn Samsone (in Mariapfarr, Mauterndorf, Muhr, Ramingstein, St. Andrä, St. Margarethen, St. Michael, Tamsweg, Unternberg, Wölting), in der angrenzenden Steiermark zwei (in Krakaudorf und Murau).

Da die Figur Macht und Stärke darstellen soll, sieht sie entsprechend aus: Fast sieben Meter ist ein Samson hoch, etwas mehr als einen Meter breit. Sie sind als Soldaten gekleidet und haben Helm und Lanze. Gebaut sind sie aus Holz oder Metall. Der Samson in Tamsweg, den Michael Fuchsberger trägt, ist zwar nicht der größte – er ist 6,2 Meter hoch –, dafür aber der schwerste: 110 Kilogramm wiegt die gewaltige Holzfigur.

Es ist ein besonderes Schauspiel, wenn die Riesen kilometerweit durch die Ortschaften getragen werden und sich bei speziellen Stationen drehen, wie jetzt zu Fronleichnam oder später im Sommer und im Herbst (genaue Termine auf www.lungau.at/de/erleben/brauchtum). Es ist vor allem ein einzigartiges Erlebnis, weil es die Samsone in Österreich nur im Lungau und europaweit in dieser Art noch in Belgien gibt (ähnliche Riesen haben Spanien, Portugal und Frankreich).

Woher der Brauch, den manche Dokumente bereits 1635 belegen, kommt, ist umstritten. „Es kann sein, dass man sich damit bei Gott bedanken wollte, dass man damit Schutz vor Plagen erhoffte, dass ihn Schützen als Symbol der Macht mittrugen – oder vielleicht war es auch nur die Idee einer Gaudipartie bei einer Hochzeit“, sagt Klaus Heitzmann, Obmann des Museumsvereins Tamsweg.

Mit einer Plage lässt sich jedenfalls ein anderer Brauch im Lungau erklären, jener der Prangstangen: sieben bis acht Meter hohe Holzstangen, die mit Girlanden aus frischen Alm- und Wiesenblumen umwunden sind. Bis zu 50.000 einzelne Blumen werden verarbeitet, die Stangen werden dadurch bis zu 85 Kilogramm schwer. Ende Juni werden die Stangen in Zederhaus und Muhr nach einer Prozession aufgestellt und bleiben bis 15. August stehen. Die Tradition geht auf eine Heuschreckenplage vor Hunderten Jahren zurück, bei der alles vernichtet wurde – außer Margeriten. Mit den Blumenstangen wollten die Bauern Gott bitten, sie künftig vor derartigen Plagen zu schützen.

Wenig beachtetes Verbot. Der älteste Hinweis auf einen Samson im Lungau findet sich 1720. Es ist eine Erwähnung, dass die Bruderschaft in Tamsweg Essen und Trinken für den Träger des Holzriesen bezahlt hat. Möglicherweise hat es die Tradition auch in anderen Gegenden in Österreich gegeben, dass sie sich im Lungau erhalten hat, sei auch mit der Abgeschiedenheit des Bezirks zu erklären, meint Heitzmann. „Die Aufklärung ist hier recht spät angekommen.“

Ursprünglich wurden die Riesen bei Prozessionen zu kirchlichen Feiertagen mitgetragen, die damit prunkvoller wirken und die Menschen nach der Reformationszeit wieder zum katholischen Glauben bringen sollten. Zur Zeit der Aufklärung war es mit dem Prunk vorbei, Ende des 18. Jahrhunderts verbot die Kirche das Mittragen von Bildnissen und geschnitzten Figuren bei Prozessionen. Später gab es ein generelles Verbot.

Im Lungau kümmerte man sich darum recht wenig, wohl eben auch wegen der Abgeschiedenheit. Die Samson-Umzüge wurden von den Prozessionen getrennt und fanden einfach am Nachmittag oder einen Tag früher statt. Die Beschwerdeberichte über diese Umzüge sind für einige Ortschaften die ersten schriftlichen Belege für den Samson-Brauch.

In Tamsweg hat man die Figur seit damals – weitgehend – erhalten. 1894 wurde sie bei einem Brand großteils zerstört, kurz später aber wieder neu gebaut. Andere Gemeinden ließen sich mehr Zeit, wie etwa Mariapfarr, das 1935 seinen Samson baute und dafür mehrere Anläufe benötigte. Der erste brannte ab, beim zweiten misslang der geschnitzte Kopf: Er war derart hässlich, dass man ein Jahr später einen neuen Kopf schnitzte. Jetzt habe man „den schönsten Samson des Lungaus“, sagt Stefan Neumann, einer der Träger in Mariapfarr, lachend. Das sagen freilich auch die anderen Vereine von ihren Figuren. Am 3. September kann man sie vergleichen, wenn zur 80-Jahr-Feier des Vereins in Mariapfarr alle zwölf Samsone der Region zusammenkommen (auch Abordnungen aus Spanien werden erwartet).

Beim Umzug wird sich Michael Fuchsberger wieder fünfmal gefaltete Wolldecken auf die Schultern legen, seine Hüften in ein Eisengestell schnallen und dann den Samson hochheben. „Die echte Herausforderung ist, die Balance zu halten.“ Dafür hat er zwei Griffe am Holzgestell – und vier sogenannte Aufhaber: Mitglieder des Vereins, die an der Seite des Samson gehen und ihn bei Kippgefahr stützen.

„Wenn ein Wind geht, wird's a bissl kritisch. Dann musst einen schnellen Zwischenschritt einlegen“, sagt Fuchsberger. Ein Kollege hat sich schon einmal verstolpert und sämtliche Bänder gerissen, auch umgefallen ist der meterhohe Samson schon ein paar Mal. „Früher“, sagt Michael Fuchsberger, „nicht zu meiner Zeit.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2016)

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