Political Correctness: Was man nicht sagen darf

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Mohr im Hemd, Eskimo, Schweinegrippe – immer mehr Begriffe werden tabuisiert. Die Political Correctness hat dafür gesorgt, dass alles aus unserem Wortschatz verbannt wird, was man als Abwertung verstehen könnte.

"Zehn Deka Negerbrot, bitte." Das kleine Bonbongeschäft in der Wiener Neubaugasse ist einer der letzten Horte, in denen die Schokolade mit Erdnüssen noch unter ihrem alten Namen verkauft wird. „Es hat schon immer so geheißen“, erfährt man von der Verkäuferin. Ein Argument, das dieser Tage öfter zu hören war – rund um eine neue Eissorte, angelehnt an den „Mohr im Hemd“. Eskimo bewarb sie mit dem Slogan „I will mohr“ – und erntete dafür heftige Proteste aus der schwarzen Community, die sich durch den Begriff „Mohr“ angegriffen fühlte.

Damit sei ja kein Mensch gemeint, es werde keine Gruppe diskriminiert, war der empörte Tenor in Leserbriefen und Online-Foren. Tatsächlich ist Mohr ein derart veralteter Begriff, der fast ausschließlich in der Kunst (Othello), Redewendungen (Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan) oder eben – völlig entpersonalisiert – bei klassischen Süßspeisen verwendet wird.

Eine Entschuldigung, die aus sprachlicher Sicht also zumindest noch eine gewisse Plausibilität hat. Möglicherweise hat der Mohr in den Köpfen vor allem junger Menschen eine Bedeutungsverschiebung erlebt und wird wirklich nicht mehr mit einer bestimmten Gruppe assoziiert. Beim Begriff Neger sieht das schon ganz anders aus. Noch die heutigen Mittdreißiger können sich an das Bild des wilden Schwarzen mit Lockenkopf, dicken roten Lippen und Goldkreolen erinnern, mit dem sie in der Kindheit und Schulzeit sozialisiert wurden.


Umbaumbassa. „Negeraufstand ist in Kuba“, klingt es über die Wiese, die Jungschargruppe hat sich um das Lagerfeuer versammelt. „Umbaumbassa, umbaumbassa, umbahehohehohoho“, singen sie zur Gitarrenbegleitung. Bis vor einigen Jahren ein ganz normales Szenario. Das Bild des Schwarzen als exotisch-primitiver Dschungelbewohner gehörte dazu. Und das mag nicht einmal böse gemeint gewesen sein. Der Begriff Neger galt als völlig wertfrei, man wuchs bis in die Achtziger damit auf und dachte nichts Böses dabei.

Dass sich die derart angesprochene Gruppe durch dieses Wort diskriminiert fühlte, drang erst langsam ins kollektive Bewusstsein vor. Erst in den Neunzigern verschwand der Begriff schließlich aus dem Schulunterricht, wurde Kindern beigebracht, Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht mehr als Neger zu bezeichnen, sondern als Schwarze oder auch als Farbige.


Das sagt man nicht. Die Debatte um Political Correctness war in Europa angekommen. Die Bewegung selbst war an den nordamerikanischen Unis der späten Sechzigerjahre entstanden. Die Studenten wollten durch eine Änderung in der Sprache die Diskriminierung von Minderheiten und Frauen beseitigen. Später wehrten sie sich auch dagegen, dass der Lehrstoff fast ausschließlich von den Vorstellungen der angelsächsischen männlichen Mainstreamkultur geprägt war. Aus dieser Bewegung heraus bildete sich ein Sprachkodex. Begriffe wie „Nigger“, die in sich das Erbe des Kolonialismus, der Sklavenhaltung und der rechtlichen Diskriminierung tragen, wurden zur Festung, die es niederzureißen galt. In der Studentenschaft etablierte sich dafür der – zunächst ironisch gemeinte – Begriff „Political Correctness“.

Ein Begriff, der aber auch bald von Kritikern und Gegnern aufgegriffen wurde – wenn auch mit deutlich anderer Stoßrichtung. Sie warfen den politisch Korrekten vor, mit den Methoden der Sprachpolizei Meinungsterror zu betreiben. „Man wird das ja noch sagen dürfen“, entwickelte sich zu ihrem Schlachtruf. Political Correctness war endgültig zu einem Kampfbegriff geworden.

Ist „vollschlank“ besser? Kritik kommt nicht nur von jenen, die hinter Political Correctness eine Weltverschwörung zur Verschleierung der Wahrheit vermuten. Steven Pinker, Psychologieprofessor an der Harvard University, prägte einen Begriff, der eine negative Seite der Political Correctness beschreibt: Die Euphemismus-Tretmühle. Dahinter steckt die Frage, ob Ungleichheiten in der Gesellschaft tatsächlich beseitigt werden, indem man andere Begriffe verwendet. Die Ersatzbegriffe allein würden keine Veränderung erzielen, im Gegenteil, sie würden sogar mit all den negativen Eigenschaften aufgeladen, die der zuvor verwendete Begriff hatte.

Wird ein dicker Mensch plötzlich als attraktiver erlebt, wenn man nicht „fett“ sagt, sondern politisch korrekt von „vollschlank“ spricht? Oder führt der grundsätzlich gut gemeinte Wechsel des Begriffs nicht nur einfach dazu, dass Boshaftigkeit gegenüber dicken Menschen jetzt hinter netten Worten versteckt wird?

Ähnlich, so die Argumentation, macht es auch keinen Unterschied, ob man nun „Neger“, „Schwarzer“ oder „Afroamerikaner“ sagt, solange sich Schwarze in den USA am unteren Ende der sozialen Hierarchie finden.

Dem widerspricht Sprachwissenschaftlerin Ulrike Kramer von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: „Sprachwandel ist immer in gesellschaftlichen Wandel eingebettet.“ Die sogenannten Nigger waren Sklaven – „und da hat sich tatsächlich etwas gewandelt, es gibt ja keine Sklaven mehr.“ Im Gegenteil, Barack Obama als erster schwarzer Präsident ist die deutlich sichtbare Speerspitze des sozialen Aufstiegs der Afroamerikaner.

Wer heute noch von „Niggern“ spricht, kann das also nur mehr abwertend meinen. Hier kommt auch der wichtigste Aspekt bei der korrekten Sprache ins Spiel: Das Empfinden der derart bezeichneten Gruppe. Allein schon das Gefühl, nicht beleidigt zu werden, kann einen Fortschritt bedeuten. Das gilt auch, wenn der Sprecher selbst in einer Bezeichnung gar keine Beleidigung sieht: Man findet es nicht schlimm, aber akzeptiert, dass das Wort als unhöflich verstanden wird.

Oder auch nicht. Als etwa der Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler Anfang des Jahres bei einer Pressekonferenz einen „Negerwitz“ erzählte, wunderte er sich darüber, dass niemand lachte, stattdessen betretenes Schweigen herrschte. Dörflers Reaktion: „Anscheinend habe ich den Witz schlecht erzählt.“


Der Krampf mit dem Binnen-I. Wenn sich die Sprache verändert, rücken manche Probleme erst ins Bewusstsein. Die Gleichberechtigung der Frau in der Gesellschaft führt auch über die Sprache – mit der Sichtbarmachung von Frauen, indem sie explizit erwähnt werden. Denn Diskriminierung läuft nicht nur darüber, was und wie es gesagt wird, sondern auch darüber, was nicht gesagt wird. Dass etwa im Deutschen der Plural männlich gebildet wird. 99 Studentinnen und ein Student sind dann 100 Studenten.

Eine sprachliche Haarspalterei, könnte man meinen. Aber eine, die aufregt. Und auch eine, die Gegnern der Political Correctness eine offene Flanke präsentiert, nämlich die Erkenntnis, dass sie in der Sprache an ihre Grenzen stößt. Gerade im Deutschen hat sich noch kein wirklich zufriedenstellendes System für gendersensible Sprache gefunden.

So plagen wir uns mit dem Binnen-I (StudentInnen) herum, das sich in der geschriebenen Sprache ein wenig etabliert hat. Beim Vorlesen und Sprechen wird allerdings nur die weibliche Form wahrgenommen – und aus 99 Studenten und einer Studentin werden 100 Studentinnen. Abgesehen davon gibt es auch Worte, die nicht durch bloßes Anhängen von „in“ weiblich gemacht werden können – etwa den Arzt und die Ärztin.


Schimpfwort Gutmensch. Um Schwierigkeiten mit der Orthografie zu vermeiden, wird an Österreichs Unis von „Studierenden“ gesprochen. Der deutsche Schriftsteller Max Goldt weist allerdings darauf hin, dass auch diese Methode Schwächen hat – wenn er etwa von „sterbenden Studierenden“ spricht, schließlich kann man schwer gleichzeitig sterben und studieren. Genau Punkte wie diese sind es, die eine Schwäche der Idee des politisch Korrekten offenbaren – die Umsetzung in der Sprache. Kritiker nutzen das reichlich aus, um das „Zigeunerschnitzel“ als lächerlich überhöhtes „Sinti-und-Roma-Schnitzel“ ins Spiel zu bringen.

Auf der anderen Seite steht der Mensch, der sein Weltbild in Freund und Feind aufteilt – und gerade bei brisanten Themen wie „Ausländern“ oder „Frauen“ sein rationales Denken durch die Moral ersetzt, wie Philosoph Konrad Paul Liessmann das Phänomen beschreibt. Der Begriff für diesen Menschentyp hat sich schon als eine Art Schimpfwort etabliert – der „Gutmensch“. Liessmann: „Der gute Mensch ist gut, weil andere böse sind. Er weiß nicht mehr, wofür er sein soll, aber er weiß, wogegen er sein soll.“


Unkorrekt ist Qualität. Fast wie ein Befreiungsschlag mutet da absichtlich unkorrektes Verhalten an, das heute vielerorts schon als Qualitätsmerkmal gesehen wird. Polemiker wie der Journalist und Buchautor Henryk Broder („Schöner denken. Wie man politisch unkorrekt ist“) leben davon. Und Komiker wie Harald Schmidt oder Oliver Pollak („Ich darf das, ich bin Jude“) werden als Kämpfer gegen die moralinsaure Gesellschaft gefeiert. Selbst die Punkband „Die Toten Hosen“, die nicht müde wird, sich als politisch korrekt zu präsentieren, muss ab und zu anscheinend die Ventile öffnen: „Auch lesbische schwarze Behinderte können ätzend sein“ wirkt wie ein kleiner Befreiungsschlag aus dem Korsett der Political Correctness.

Dass die Gesellschaft in puncto korrekter Sprache trotz allem dazulernt, lässt sich am Beispiel der eingangs erwähnten „Mohr im Hemd“-Debatte erkennen. Noch vor 15 oder 20 Jahren hätte sich vermutlich niemand überhaupt große Gedanken über den Slogan gemacht. Jetzt wird zumindest darüber diskutiert. Und vielleicht wird die nächste Generation die Süßspeise mit Schlag unter einem völlig anderen Namen kennenlernen – oder im kleinen Bonbongeschäft „zehn Deka Schokotraum Erdnuss“ bestellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2009)

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