„In die Ecke gedrängt, könnten sie gefährlich werden“

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PALESTINIAN-ISRAEL-GAZA-CONFLICT-SUMMER-CAMPAPA/AFP/SAID KHATIB
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Nicht jeder IS-Rückkehrer wird verhaftet. Doch für sie und andere politische Extremisten fehlt es an ausreichender Betreuung.

Wien. Nach Brüssel standen sie vor seiner Tür, nach den Terroranschlägen in Paris sowieso. Wie immer wollten die Verfassungsschützer wissen, wo er zur Zeit des Anschlags gewesen sei, welche Moscheen er gerade besuche – und was seine aktuelle Telefonnummer sei.

Das hat einen Grund: Zu einer Zeit, als der IS noch nicht richtig bekannt war, und al-Nusra noch nicht als Terrororganisation eingestuft war, hat Elias (Name geändert) sich deren Videos angesehen und ging in einschlägige Gebetsräume. „Ich dachte, sie setzen sich für die Rechte von Muslimen ein“, sagt er heute. Sein Umdenken fing an, als er die Videos mit den Kindern sah, die Opfer von Terroristen wurden. Doch in gewisser Weise war es bereits zu spät. Der Verfassungsschutz war bereits auf ihn aufmerksam geworden. Zwar wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt, doch Einfluss auf sein Leben hat es bis heute. „Jedes Mal, wenn im Ausland ein Anschlag passiert, steht der Verfassungsschutz vor meiner Tür.“ Und nicht nur vor seiner.

Gefährdungsansprache heißt das, für Verfassungsschützer ein wichtiges Instrument zur Prävention. „Gerade in Zeiten wie diesen muss man aufmerksam sein“, sagt Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck. Die Kontrollen seien vom Einzelfall abhängig. „Aber es kann durchaus Kontrollen im bis zu dreistelligen Bereich geben.“ In rund 300 Fällen ermittelt man gegen Menschen, die in den Jihad zogen oder ziehen wollten. Rund 80 kamen zurück, knapp 40 sitzen im Gefängnis. Auch weil man ihnen zu wenig nachweisen konnte.

Dass die Polizei aktiv werden muss, weiß auch Elias. Wobei ihn weniger die Kontrollen ärgern als die Art, wie sie durchgeführt werden. Polizisten, die ihn verächtlich fragen würden, ob er jetzt der Held unter seinen Freunden sei, weil er kontrolliert werde. Andere, die sagen würden, immer wieder zu kommen, bis sie etwas fänden. „Von mir aus können sie mir sogar einen GPS-Sender einsetzen, wenn ich und meine Familie danach Ruhe haben“, sagt er. Es seien freilich nicht alle Beamten so, „aber man wird stigmatisiert und in eine Schublade geworfen“. Und das hält er für gefährlich.

Das sehen auch andere so. Zwar gibt es eine Deradikalisierungs-Hotline und ein Programm im Gefängnis. Eine Nachbetreuung, bei der Experten auf ideologische Fragen eingehen, gibt es aber nur auf Weisung des Richters. „Es braucht so etwas, wie das, was wir gerade im Gefängnis machen. Jemanden, der auch in weltanschaulichen Dingen widersprechen kann“, sagt Moussa al-Hassan Diaw, der mit dem Verein Derad bei der Deradikalisierung hilft.

Mobile Teams gefordert

Er stellt sich mobile Teams vor, die die Betroffenen, die noch nichts mit der Justiz zu tun hatten, besuchen – so wie es der Verein derzeit nur ehrenamtlich macht. Zielgruppe seien sowohl Sympathisanten als auch Rückkehrer, denen der Staat nichts nachweisen kann. Denn eines sei klar: Der IS und andere Gruppierungen versuchen weiterhin zu rekrutieren. „Es wird nicht weniger.“

„Das Hauptproblem ist, dass es keinen Dialog gibt“, sagt Elias. Dabei würden viele Hilfe brauchen. Viele Verdächtige würden, so wie er, ihre Jobs verlieren, wenn die Ermittlungen beginnen, weil die Polizei bei Arbeitgeber, Freunden und Familie nachforscht. Auch Routinekontrollen könnten Jobs gefährden. „Die meisten sind super Jungs. Aber wenn man sie in eine Ecke drängt, könnten sie gefährlich werden. Denn dann haben sie nichts mehr zu verlieren“, sagt Elias. Für ihn ist es eine Grundsatzfrage: „Wie will man mit diesen Menschen umgehen? Will man warten, bis man sie bestrafen kann, oder will man auf sie zugehen?“ Er glaubt, dass Sozialarbeiter viel bewirken könnten: „Das sind Jungs, die das Gefängnis nicht fürchten, mit Härte erreicht man nichts.“ Und es werde vergessen, was diese Menschen für das Land tun könnten. Er versuche nun selbst, andere von extremen Ideologien abzubringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2016)

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