Was die Abschaffung von Wahlärzten bedeuten würde

Die Zahl der Wahlarztordinationen ist in Österreich in den vergangenen Jahren stark gestiegen.
Die Zahl der Wahlarztordinationen ist in Österreich in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Fabry / Die Presse
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Mit dem Vorschlag, dass Wahlarztrechnungen von den Kassen nicht mehr refundiert werden sollten, verwirrt SPÖ-Gesundheitssprecher Erwin Spindelberger sogar seine eigene Partei.

Wien. Geht es nach dem Gesundheitssprecher der SPÖ, Erwin Spindelberger, sollen Wahlarztrechnungen von den Krankenkassen nicht mehr refundiert werden. Mit dem Geld, das dabei eingespart wird, könnten zusätzliche Kassenarztstellen geschaffen werden. Dies sollte maßgeschneidert für die Versicherten erfolgen, mit speziellen medizinischen Angeboten und längeren Öffnungszeiten. Ein Vorstoß, der am Mittwoch für viel Aufregung sorgte und einen Politstreit auslöste. „Die Presse“ beantwortet die wichtigsten Fragen dazu.

1. Was sind Wahlärzte, und wie funktioniert die Abrechnung?

Wahl- oder Privatärzte sind niedergelassene Mediziner, die keinen Vertrag mit den Sozialversicherungsträgern haben – also mit Krankenkassen wie etwa der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) oder der Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter (BVA). Das bedeutet, sie verrechnen ihre Leistungen direkt mit dem Patienten über ein Privathonorar, das sich nicht an einen vorgegebenen Kassentarif halten muss, sondern vom Wahlarzt frei bestimmt wird.

Der Patient kann die Honorarnote zwecks Kostenübernahme bei seiner Krankenkasse einreichen. Er hat dabei Anspruch auf Rückerstattung von 80 Prozent des Tarifs, den ein Arzt mit Kassenvertrag für dieselbe Leistung erhält. Die restlichen – nicht rückerstatteten – 20 Prozent sollen den erhöhten Verwaltungsaufwand der Sozialversicherungsträger bei Abrechnung mit Wahlärzten vergüten.

Das bedeutet aber nicht, dass der Patient tatsächlich 80 Prozent vom bezahlten Geld zurückbekommt, da Wahlärzte beispielsweise für längere Aufnahme- und Anamnesegespräche viel mehr verlangen, als die Kassen zahlen. So beträgt etwa der Kassentarif für eine halbe Stunde nur zwölf Euro. Im Schnitt zahlt ein Patient bei einem Wahlarzt rund 150 Euro pro Besuch. Davon werden ihm für gewöhnlich zwischen 20 und 40 Euro refundiert.

2. Wie viele Wahl- und Kassenärzte gibt es in Österreich?

Seit Jahren ist ein eindeutiger Trend erkennbar: Die Zahl der Wahlärzte steigt, jene der Kassenärzte sinkt. Der Ärztekammer zufolge hatten vor zehn Jahren noch 4100Allgemeinmediziner einen Kassenvertrag, heute sind es nur noch 3880. Und davon erreichen in zehn Jahren mehr als 60 Prozent das Pensionsalter. Die Zahl der Fachärzte ist zwar in den vergangenen Jahren stabil geblieben, allerdings erreichen auch hier in den nächsten zehn Jahren fast zwei Drittel das Pensionsalter. Hinzu kommt, dass österreichweit fast 70 Kassenstellen unbesetzt sind. Andererseits ist die Zahl der Wahlärzte in den vergangenen zehn Jahren um fast 50 Prozent gestiegen. 2006 gab es 7017 Wahlärzte, heute sind es 10.346. Ähnlich ist die Entwicklung in Wien.

Die Presse

3. Was würde die Umsetzung für die Patienten bedeuten?

Da die meisten Wahlärzte nicht aus Mangel an Alternativen, sondern aus Überzeugung auf einen Kassenvertrag verzichten, weil sie ihre Leistungen bewusst anbieten und nicht von Honorardeckelungen der Kassen abhängig sein wollen, würde die Zahl der Wahlärzte wahrscheinlich nicht zurückgehen. Auch die Patienten würden sie wegen der kürzeren Wartezeiten auf Termine und des Umstands, dass sie sich für ihre Patienten mehr Zeit nehmen (der Hauptgrund, um Wahlärzte zu konsultieren), weiterhin aufsuchen und auf die 20 bis 40 Euro Refundierung verzichten. Denn: Laut Ärztekammer reichen schon jetzt nur wenige Patienten ihre privaten Rechnungen bei den Krankenkassen ein.

4. Könnte man mit der Abschaffung von Wahlärzten Geld sparen?

Im jetzigen System nicht. Denn ein Wahlarzt ist für die Kassen günstiger, da Leistungen nur zu 80 Prozent abgegolten werden. Generell ist bei Wahlärzten nicht viel zu holen. Laut Jahresbericht der Wiener Gebietskrankenkasse etwa machen die Kosten für Wahlärzte insgesamt 14 Millionen Euro jährlich aus. Das sind weniger als drei Prozent der Ausgaben für Kassenärzte.

5. Wie ist die Reaktion der anderen Parteien und Interessenvertreter?

Sämtliche Oppositionsparteien erteilen dem Vorschlag von Spindelberger eine klare Absage. Selbst im SPÖ-geführten Gesundheitsministerium stößt die Idee auf Ablehnung. Es handle sich um eine „Privatmeinung“ Spindelbergers, hieß es aus dem Ressort am Mittwoch. Man sei sich der Problematik bewusst, dass immer mehr Personen die Betreuung bei Wahlärzten suchen. Es könne aber keine Lösung sein, die Patienten zu bestrafen, indem man die Wahlarztkostenrückerstattung streiche.

Auch die Ärztekammer stellt sich strikt gegen die Abschaffung des Wahlarztsystems. Dieser Vorschlag würde zu einer Verschärfung der Zweiklassenmedizin führen, sagt Kammerpräsident Artur Wechselberger – und lediglich die Patienten treffen. Notwendig sei vielmehr die Schaffung von mehr Kassenstellen. Von einem „Angriff auf einen freien Berufsstand“ spricht die Ärztegewerkschaft Asklepios.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2016)

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