Seifensiederei: Ein sauberer Schlussstrich

Gisela und Grete Weiss
Gisela und Grete Weiss(c) Clemens Fabry
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Abschied von "Poet", "Othello" und "Sisi": Mit der Stadlauer Seifensiederei schließt Ende November Wiens letzte. Und das, obwohl Seife gerade ein kleines Comeback erlebt.

Knipsen Sie. Wir sind das gewohnt. Die Kunden machen das jetzt dauernd“, sagt Gisela Weiss. Und geniert sich dann doch ein wenig – „wegen der Unordnung“. Im kurzschlussbedingten Dämmerlicht der Langobardenstraße 26–28 stehen Kunstblumen neben Säcken Siedesalz, moderne Waschmittel neben leeren Metallkesseln, ordentlich eingewickelte Seifenreihen neben zum Trocknen ausgebreitetem Stückwerk – und im Raum Gedanken wie: Es ist zwar noch nicht aus, aber schon lange vorbei.

Konkret seit drei Jahren, als im März 2006 – „zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt“, wie Gisela Weiss sagt – ihr Bruder Friedrich plötzlich starb und mit ihm Wiens letzte Seifensiederei. Nach dem Tod ruhten die Geschäfte ein Jahr, dann nahm sie Gisela Weiss, nunmehr Inhaberin, mithilfe ihrer ebenfalls etwa siebzigjährigen Schwester Grete wieder auf. Jedoch ohne die Maschinen in der Produktion anzuwerfen. Die Restbestände waren ohnehin riesig. „Alle Seifen hier hat noch mein Bruder erzeugt“, sagt Gisela Weiss und zeigt auf die posthum verpackte Ware. Neue wird es nicht geben. Denn das 1400-m2-Fabriksareal ist verkauft, der Bau wird vermutlich bald abgerissen. Ende November ziehen die Schwestern aus den Wohnungen auf dem Gelände aus, und der Laden schließt. Für immer.


Seife für alle Lebenslagen. Ein Laden, der wie die Siederei und der frühere Eigentümer berühmt war. Deutsche Zeitungen, Schweizer TV, viele berichteten von den kaltgerührten Kokosölseifen des Herrn Weiss mit den gewichtigen Namen: „Othello“, „Sisi“ oder – mit leichterem Witz – „Rose von Stadlau“. „Er ist mit den Jahren immer besser geworden“, meint Veit Nitsche, Innungsmeister des chemischen Gewerbes in Wien. Im Unterschied zu anderen Produzenten, die fertige Seifenpellets mit Düften gemischt haben, habe Weiss Kokosöl und Lauge nur sanft erwärmt und selbst gerührt. „Er war in Wien der Letzte, der das im größeren Stil gemacht hat, sonst arbeiten nur mehr kleine Werkstätten so.“ Als echter Seifensieder stellte Weiss alles her: Schmierseife, Waschmittel und „Toiletteseifen“ für Gesicht, Körper, Haare, Bart und, ja, auch Zähne. Nach seinem Tod, erzählt Gisela Weiss, habe eine Kundin aus Paris angerufen und gesagt, sie brauche genug Seife, damit sie sich bis ans Lebensende waschen könne – „48 Jahre war die alt. Da kommt was zusammen.“

Saubermänner und Schaumschläger. Wie sich der Ruhm der Weiss-Seifen aufteilt – welchen Anteil die Qualität und welchen das Charisma des wortgewaltigen Schöpfers hatte – ist schwer zu trennen. Genauso wie Herr Weiss und seine Arbeit, seit er in den 70ern den 1924 gegründeten Familienbetrieb übernommen hat. „Er hatte nur Seife im Kopf“, sagt Wladyslaw Stopa, der in den letzten acht Jahren sein Mitarbeiter war. „Und Seife hat ihn auch kaputtgemacht.“ Denn Gesundheit oder Urlaub habe sich Weiss nie gekümmert. Übrigens auch nicht um Werbung, Äußerlichkeiten: „Früher haben wir die Seifen in hübsche Formen gepresst, aber mein Bruder wollte alles in die Rohstoffe investieren“, sagt Gisela Weiss. Mohnöl, Myrrhe, Weihrauch ... fast 100 Sorten wurden produziert. Die Rezepte hielt er geheim. „Im ersten Jahr“, erzählt Stopa, „sah ich nie ein Rezept, später musste ich sie immer vernichten.“ Irgendwann konnte er sie auswendig.

Warum die Schwestern den Betrieb nicht verkauft haben, versteht weder er noch der Innungsmeister: „Er ist gut gegangen, ich habe mich auch bemüht, dass er weiterbesteht“, sagt Nitsche. Immerhin würden Seifen nach schwierigen Zeiten – das Auftauchen internationaler Großkonzerne in den 50ern, der Erfolg von Flüssigseife und Waschgels – ein Comeback erleben, sei es aus Modegründen (siehe die „Lush“-Kette), sei es aus Umweltbewusstsein. Das bestätigen auch die Schwestern: „Jetzt, da die Leute Allergien haben, kommen noch mehr.“ Und sie geben zu, dass sich viele Interessenten gemeldet hätten: „Aber das waren so Aussteigertypen.“ Schaumschläger statt Saubermänner quasi. Und auch mit dem finanziellen Angebot habe es nicht gepasst. Die Kinder selbst hätten nicht gewollt – und überhaupt: „Menschen wie meinen Bruder gibt es nicht mehr, verstehen Sie? Das ist eine Seife aus einer anderen Zeit. “

Darum eben solle „jetzt alles aufhören“. „Pietätlos“ nennt sie – wohl zu Recht – jene deutsche Firma, die sich die alte Homepage sicherte und „In memoriam Friedrich Weiss“-Seifen produziert. Aber auch über Stopa verliert Gisela Weiss kein Wort. Gemeinsam mit Sonja Baldauf, die zu Lebzeiten des alten Herrn Seifen in der Schweiz hätte vertreiben sollen und der der Tod dazwischenkam, stellt der Exmitarbeiter in einer kleinen Wiener Werkstatt „StoBa“-Seifen nach alten Weiss-Rezepten her. Geschützt seien diese nicht, sagt Baldauf, und „Herrn Weiss hätte es nicht gestört“, glaubt Stopa. Denn: „Er hat mir ja alles beigebracht, vor allem die Dinge, die man nicht aufschreiben kann, das Gefühl.“ Apropos Gefühl: Sorten wie „Poet“, die der Lehrmeister neu erfunden hat, reproduziert man nicht. Aus Respekt, sagt Baldauf. Vor Herrn Weiss. Und eventuell auch vor Dingen, die zwar noch nicht aus sind, aber doch schon lange vorbei.

Stadlauer Seifensiederei, 1220, Langobardenstr. 26–28; bis Ende November.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2009)

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