Liesing: Wenn Amerikaner Wien planen

(c) APA (Herbert P. Oczeret)
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Internationale Stadtplaner präsentierten Visionen für Faymanns Heimatbezirk. Das Gebiet zwischen der Südbahn und der Altmannsdorfer Straße wurde für dieses Experiment ausgewählt, weil es bereits seit 1994 als Stadtentwicklung definiert ist.

Wien. Es ist ein ungewöhnliches Experiment. Man nimmt 40 Stadtplaner aus den USA, Dänemark, Schweden, Norwegen, Portugal, Polen, Deutschland und den Niederlanden, setzt sie drei Tage in einen Raum (wo sie Zukunftspläne für ein Stadtentwicklungsgebiet entwerfen) und vergleicht diese Pläne mit jenen der Wiener Stadtplaner. Dieses Experiment ging nun in Wien über die Bühne.

Konkret wurden die internationalen Experten gebeten, Visionen für einen Bereich im Heimatbezirk von Bundeskanzler Werner Faymann zu entwerfen: Visionen für Liesing-Mitte, eines der wichtigsten Entwicklungsgebiete im Süden der Stadt. „Das ist eine Maßnahme gegen die Betriebsblindheit“, erklärt Volkmar Pamer, der die „Vienna Implementation Lab“ genannte Veranstaltung initiiert hat, der „Presse“: „Die Grundidee ist, von ausländischen Experten, die eine andere Mentalität, einen anderen Zugang und eine andere Sicht haben, zu lernen“, erklärt der Wiener Stadtplaner der Mitarbeiter der MA21B

Das Gebiet zwischen der Südbahn und der Altmannsdorfer Straße wurde für dieses Experiment ausgewählt, weil es bereits seit 1994 als Stadtentwicklung definiert ist, noch 60 Hektar unbebaute Fläche besitzt und durch seine inhomogene Struktur (wenige Wohnungen, viel Grünfläche und ein traditionsreiches Industriegebiet im Süden) eine besonders komplexe Herausforderung für Stadtplaner darstellt: Das Gebiet soll entwickelt und vernetzt werden, ohne dass Konflikte zwischen den völlig unterschiedlichen Wünschen von Wohnbevölkerung und Industriebetrieben eskalieren. Immerhin sollen in Liesing-Mitte laut des aktuellen Stadtentwicklungsplans rund 3700 neue Wohnungen für 8800 Bewohner und dazu etwa 900 Arbeitsplätze entstehen.

Auffallend: Die Grundregeln für die Entwicklung eines neuen Stadtteils sind international ähnlich. Als Erstes muss eine Identität geschaffen werden, die für das Gebiet steht und mit dem sich die Bewohner identifizieren können; die Verbindungen innerhalb des Areals müssen vernetzt werden (nicht nur verkehrsmäßig, sondern auch sozial durch verschiedenste Einrichtungen); der „menschliche Maßstab“ muss erreicht werden (Pamer bezeichnet das als Erreichen des „Wohlfühlfaktors“); die kritische Masse darf nicht überschritten werden – womit beispielsweise die Dichte an Einkaufszentren gemeint ist.

Forderung nach Straßensperre

„Es ist schwierig, für Liesing-Mitte eine Identifikation zu finden“, analysiert der niederländische Experte Huib Haccou nüchtern. Der Stadtteil sei sehr fragmentiert, und neue Wohnungen würden mehr Verkehr bedeuten – was hier unbedingt zu vermeiden sei. Ein Kollege Haccous bietet gleich eine Lösung an: Eine Spur der (bereits überlasteten) Altmannsdorfer Straße sperren und Radfahrern zur Verfügung stellen. Der Verkehrskollaps würde dafür sorgen, dass mehr Wiener auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen, womit die Situation entschärft würde.

Das sind die Situationen, in denen Pamer eingreift: Unorthodoxe Vorschläge seien willkommen; man müsse den ausländischen Kollegen aber auch erklären, dass manche Maßnahmen politisch nicht realisierbar seien. Pamer setzt eher auf Sammeltaxis.

Öko-Chic als Motto

Arun Jain, US-Stadtplanungsexerte aus Portland, schlägt eine neue Leitlinie für das Areal vor: Weil das Gebiet über eine große Grünfläche und einen sehr guten Verkehrsanschluss (S-Bahn, U-Bahn) verfüge, wäre es ein ideales Gebiet für „urbanes Wohnen in der Natur.“ Seine Forderung: Siedlungen, bestehend aus ökologischen Häusern (z.B. Passivhäusern), verbesserter Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel und dazu eine kräftige Marketingunterstützung, damit dieses Gebiet eine neue Identität bilden kann. Damit kann Pamer besser leben als mit einer Sperre der Altmannsdorfer Straße. Auch die Forderung von Elsbeth van Hylckama nach einem Masterplan, der die Leitlinien für die Entwicklung des Gebietes vorgibt (um Spekulanten zu bremsen und Investoren klare Spielregeln vorzugeben), kann Pamer voll mittragen.

Was fängt der Wiener Stadtplaner mit den Vorschläge der internationalen Experten nun an? „Beide Gruppen (jene der internationalen Experten und jene der Wiener Stadtplaner) sind zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.“ Nun gehe es um eines, so Pamer: Diese Ergebnisse der Politik zu vermitteln und darum zu kämpfen.

AUF EINEN BLICK

Pilotprojekt. Internationale Stadtplanungsexperten skizzieren die Zukunft eines Wiener Bezirksteils. Der unterschiedliche kulturelle Zugang zum Städtebau soll neue Sichtweisen eröffnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2009)

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