Ein Donaukanal für Wiens Süden

Christoph Kainz paddelte als Jugendlicher im Sautrog durch den Kanal. Als Bürgermeister will er ihn nun touristisch aufwerten.
Christoph Kainz paddelte als Jugendlicher im Sautrog durch den Kanal. Als Bürgermeister will er ihn nun touristisch aufwerten.(c) Stanislav Jenis
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Einst fuhren Lastschiffe auf dem Kanal zwischen Wien und Wr. Neustadt. Heute längst vergessen, soll er bald Touristen und Einheimische anlocken: Eine Zeitreise mit Zukunftsperspektive.

Der Mann war das Phantom der Thermenregion. Wenige haben ihn selbst gesehen, viele hörten von ihm. Mit dem Surfbrett soll der Unerschrockene bei Baden das flache Land zwischen Wien und Wiener Neustadt durchkreuzt haben. Auf den letzten erhaltenen Abschnitten einer längst vergessenen Wasserstraße, auf der einst Lastschiffe von der Hauptstadt bis tief hinein nach Niederösterreich fuhren.

So plötzlich wie der Surfer vor zwei Jahren aufgetaucht ist, ist er wieder verschwunden. Die Reste des Wiener Neustädter Kanals aber gibt es immer noch. Anrainer, Vereine, Unternehmer und Politiker der Region wollen in den nächsten zwei Jahren etwas daraus machen. Wasser und Freizeit, das kennt man aus Wien, kommen nämlich überall gut an. Der Plan ist, aus dem alten Industriedenkmal eine Art Donaukanal mit niederösterreichischem Einschlag zu machen.

Konzentriert haben sich die Aktivitäten von Beamten, Unternehmern, Vereinen und Lokalpolitikern in der Person von Christoph Kainz. Der 49-Jährige vereint gleich mehrere Funktion auf einmal, was für das Gelingen des Vorhabens in einem Land wie Niederösterreich kein Nachteil ist. Der Mann ist Aufsichtsrat des Wienerwald Tourismus, Landtagsabgeordneter der ÖVP und, in Bezug auf echte Entscheidungsbefugnisse vielleicht die wichtigste Qualifikation, Bürgermeister der Markt- und Weingemeinde Pfaffstätten.

Kainz und seine Mitstreiter sehen in dem vor sich hin dämmernden Kanal einen Rohdiamanten, der mit dem richtigen Schliff zum glänzenden Juwel für Tagesgäste, Touristen und auch Anrainer werden könnte. Anders als in den großen Städten spricht hier niemand von einer „Waterfront“, sondern von einer Mischung aus Freizeit, Erholung, Wertschöpfung und ein bisschen Zeitgeschichte.

„Wir haben hier eine echte Chance“, sagt Kainz auf dem Gelände eines längst geschlossenen Industriebetriebs zwischen Pfaffstätten und Tribuswinkel. Damals, vor 200 Jahren, nutzten neben den Schiffern zahlreiche Unternehmer die kostenlose Wasserkraft des Kanals. In Zukunft sollen die Besucher hier auch Geld ausgeben. Die Zielgruppe ist groß. Allein in den Anrainerbezirken des Kanals leben 380.000 Menschen, im nahen Wien noch einmal ein Vielfaches davon. Bei inzwischen mehreren Treffen von 25 beteiligten Gemeinden entstanden Ideen von Wasserspielplätzen, Bootsverleihen, der Wiederinbetriebnahme alter Schleusen und der gezielten Vermarktung des Radtourismus entlang des Kanals. Und natürlich von Angeboten der Gastronomie. Die Thermenregion ist bekannt für die nur hier wachsenden Weine Zierfandler und Rotgipfler.

Hafen Wien-Mitte. Die Radfahrer sind es auch, denen der in den Jahren 1797 bis 1803 erbaute Wiener Neustädter Kanal heute noch am ehesten präsent ist. Ein beliebter Radweg verläuft entlang seines Ufers. Fast alle anderen haben von ihm – ganz ähnlich wie beim Surfer – nur gehört. Dass hier Schiffe fuhren oder, präziser, gezogen wurden, überrascht dann bei einer Jause am Ufer selbst eine radfahrende Familie aus der näheren Umgebung.

Tatsächlich waren die Schiffe Lastkähne. Zwei Meter breit und 23 Meter lang konnten sie – von nur einem Pferd gezogen – bis zu 30 Tonnen Güter befördern. Und Güter brauchte das kaiserliche Wien, das damals unter Franz II. die Erlaubnis zum Bau der privaten Wasserstraße genehmigte, in rauen Mengen. Über den Kanal brachten die Schiffer zu Beginn vor allem Kohle und Holz, die damals die wichtigsten Energieträger der Metropole waren. Später transportierten die Ziegelbarone ihren Baustoff auf dem Wasserweg nach Wien. Ein Drittel des Baumaterials für die Ringstraßenbauten soll diesen Weg genommen haben.

Wohl kaum einer jener Hauptstädter, die heute durch das Einkaufszenetrum The Mall beim Bahnhof Wien-Mitte schlendern, weiß, dass der Kanal genau unter ihnen geendet hat. Hier, im Wiener Hafen, wurde umgeladen, lief das Wasser des Kanals in den Wienfluss. Dort, wo jetzt Schnellbahnen auf der Trasse der sogenannten Stammstrecke entlang der Linken und Rechten Bahngasse rollen, glitten einst die Lastkähne durch das Wasser.
Damit der Plan aufgeht, braucht es neben der Einigkeit der Anrainergemeinden auch Öffentlichkeit. Weckruf und finanzieller Anschub für die wilde Mischung aus regionaler Zeitgeschichte, Naherholung, Tourismus und Gastronomie soll 2019 die niederösterreichische Landesausstellung in Wiener Neustadt sein, die als Schwerpunkt die Entwicklung von Mobilität und Verkehrswegen darstellen wird.

Biber zerstören Dämme. Bis dahin wird Thomas Wöhrer darauf achten, dass der Kanal in Schuss bleibt. Er ist einer von zwei Kanalwärtern, die im Auftrag des Landes Niederösterreich das 36 Kilometer lange Gewässer pflegen. Den derzeit größten Ärger machen ihnen Biber, die jüngst einen Damm derart untergraben haben, dass der Asphalt des Radwegs darüber eingebrochen ist.

Den Surfer des Jahres 2014 hat übrigens auch Wöhrer nicht selbst gesehen. „Aber ich habe Fotos von ihm“, erzählt er. Ein Anrainer hat sie ihm damals geschickt. Wer der Mann war, der sich nicht nur vom Wind, sondern zusätzlich von einem Moped ziehen ließ, ist bis heute ungeklärt. Wie es sich für ein Phantom gehört.

Mehr Wissen zum Kanal

Webtipp. Der historisch interessierte Niederösterreicher Heinrich Tinhofer hat auf seiner Website in der Rubrik „Forum Kanal“ Informationen, Perspektiven sowie neue und historische Fotos zum Wiener Neustädter Kanal veröffentlicht.

www.walkinginside.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2016)

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