Ein Jahr danach: Was von der Hilfsbereitschaft blieb

Sabine Klein und Sabine Lösch (li.), Barbara Stöckl, Sibylle Hamtil und Doris Kucera (re.) helfen Hanaa, ihrem Mann Abd und deren Sohn Zain (Mitte).
Sabine Klein und Sabine Lösch (li.), Barbara Stöckl, Sibylle Hamtil und Doris Kucera (re.) helfen Hanaa, ihrem Mann Abd und deren Sohn Zain (Mitte).(c) Die Presse/Clemens Fabry
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Ein Jahr nach dem Start der Flüchtlingswelle hat sich die Stimmung in der Bevölkerung gewandelt. Doch wie haben Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, die Zeit erlebt? Wurden sie enttäuscht?

Irgendwie hat sich Christian Hlade das Zusammenleben anders vorgestellt. Seit fast einem Jahr wohnt eine syrische Familie kostenlos in der Gästewohnung seiner Firma. Das Ehepaar hat dort mit seinem Kind genügend Platz, ihre Wohnung in Graz liegt direkt neben seiner. Es gibt auch einen Garten. Doch Hlades Bereitschaft, einer vor Krieg und Terror geflüchteten Familie eine sichere Unterkunft zu geben, wird zunehmend auf die Probe gestellt.

„Der Mann der Familie kann nach sieben Monaten, dem Besuch eines Deutschkurses und Internetzugang fürs Online-Sprachstudium leider fast noch immer kein Deutsch“, schreibt er in einem Blogeintrag. „Die beiden Erwachsenen verbringen täglich Stunden mit ihren Smartphones und leben in Gedanken eher in Syrien, als sich um eine Eingliederung, Spracherwerb und Erwerb von Fähigkeiten hier in Österreich zu kümmern. Gemeinsame Verabredungen und Termine werden leider sehr häufig gar nicht eingehalten. Die in Syrien üblichen Wohngewohnheiten ruinieren durch zu viel Feuchtigkeit beim Kochen und Duschen – kombiniert mit völligem Verzicht auf Lüften – jede moderne Wohnung in Österreich“, kritisiert er. Auch Hilfe im Garten hätte er sich erwartet, immerhin benutzt ihn die Familie mit. Sein Fazit: „Integration braucht auch Regeln, Ziele und Forderungen vonseiten der Gastgeber.“

Es sind verärgerte Worte für jemanden, der anderen helfen wollte. Dabei ist Christian Hlade nicht unerfahren, wenn es um fremde Kulturen geht. Der Grazer mit dem dichten Haar und der tiefen Stimme hat in den vergangenen Jahren unzählige Länder bereist und ist es auch gewöhnt, mit anderen Kulturen zu arbeiten. Hlade betreibt die Firma Weltweitwandern, mit der er Wanderreisen in der ganzen Welt organisiert. Er unterstützt selbst Hilfsprojekte im Ausland, und seine Firma arbeitet meist mit einheimischen Organisationen vor Ort zusammen – die Weiterbildung deren Mitarbeiter fördert er. Kurzum: Mit Christian Hlade verscherzt man es sich nicht so leicht. Und dennoch deckten sich seine Erwartungen nicht mit der Realität. Und nicht nur bei ihm.

Die Gesellschaft packte an

Das vergangene Jahr war geprägt von einer große Euphorie und einer ebenso großen Ernüchterung. Vor einem Jahr erlebte Österreich eine noch nie dagewesene Solidaritätswelle. Tausende Flüchtlinge wurden von Freiwilligen mit Decken, Essen, Wasser und einem Lächeln willkommen geheißen. Dort, wo der Staat nicht schnell genug reagierte, packte die Zivilgesellschaft rasch und effizient an. Ein Jahr später ist die Euphorie verschwunden.

„Die Willkommenskultur ist vorbei“, hieß es rasch nach den „Vorfällen von Köln“, wie die Diebstähle und sexuellen Übergriffe von vielen Asylwerbern, aber auch schon länger hier lebenden Flüchtlingen vor allem aus Marokko, Algerien und dem Irak gemeinhin genannt wurden. Mit dem neuen Jahr kam eine neue Stimmung ins Land.

Das merkten vor allem die NGOs empfindlich. Die Plattform Flüchtlinge Willkommen, die Asylwerbern und anerkannten Flüchtlingen Wohnungen oder einen Platz in einer Wohngemeinschaft vermittelt, hatte 2015 zu Bestzeiten 120 Österreicher pro Monat, die Geflüchtete bei sich aufnehmen wollten. Nach Köln, aber auch den Attentaten in Brüssel und Deutschland sowie den Meldungen über Vergewaltigungen durch Asylwerber fiel die Zahl der neuen Wohnungsangebote auf 30 bis 40 pro Monat. Während die Zahl der Flüchtlinge auf der Warteliste von 200 auf 2400 stieg. „Die Warteliste hat sich verzwölffacht, und das Angebot ist nur mehr ein Viertel so groß“, sagt Projektmitgründer David Zistl. Auch in der Diakonie-Flüchtlingshilfe merkt man das Misstrauen in der Bevölkerung. „Im Vorjahr kamen auf eine Freiwilligenstelle 50 Interessenten, jetzt brauchen wir manchmal Monate oder Wochen, bis wir etwas besetzen können“, sagt Silvia Unterberger, zuständig für das Freiwilligenmanagement. Sie führt das nicht nur auf die schlechtere Stimmung in der Bevölkerung zurück. „Es sind auch viel mehr Menschen notwendig als früher.“ Trotzdem sieht sie die Verantwortung bei Politik und Medien. „Ein paar (negative, Anm.) Fälle wurden medial aufgeputscht“, sagt sie. So sei das Gefühl von „Wir schaffen das“ zu „Wir sind alle überfordert, und es sind zu viele“ gerutscht. „Mit den meisten Flüchtlingen gibt es aber keine Probleme.“

Das wissen vor allem die, die mit Flüchtlingen arbeiten. Denn auch, wenn die Stimmung in der Bevölkerung gekippt ist, sind im Schnitt mehr Menschen bereit zu helfen, als in den Jahren davor. Die Diakonie konnte die Zahl der freiwilligen Mitarbeiter dauerhaft verdoppeln, ebenso die Zahl der laufenden Projekte. Auch in der Caritas Wien gebe es „nach wie vor viele Menschen, die sich dauerhaft engagieren“, so Caritas-Wien-Generalsekretär Klaus Schwertner: „Die Solidarität hat nicht nachgelassen.“

Es fehlen neue Helfer

Was aber allen NGOs fehlt, sind neue freiwillige Helfer, die sich durch die Euphorie mitreißen lassen und sich längerfristig engagieren. Wenn es auch Aufklärung auf beiden Seiten braucht. „Ernüchterung gibt es oft am Anfang“, sagt Gerry Foitik vom Roten Kreuz. Wenn Helfer bemerken, dass Menschen im Ausnahmezustand auch unwirsch sein können. Oder wenn freiwillige Helfer sich ärgern, weil niemand zu ihren Deutschkursen um acht Uhr in der Früh erscheint, weil viele Flüchtlinge ob ihrer Schlafstörungen in der Nacht am Morgen länger schlafen. Erwartung und Realität, das hat das Jahr gezeigt, passen oft auf beiden Seiten nicht zusammen. „Natürlich gibt es auch unter Flüchtlingen Menschen, die sich schlecht verhalten“, sagt Foitik. „Das ist in jeder Gesellschaft so.“

Doch während das halbe Land überzeugt ist, dass nichts mehr gehe, zeigen genügend Projekte, dass sie funktionieren. Auch abseits von NGOs. „Die Presse“ hat vor einem Jahr drei (private) Flüchtlingsprojekte besucht. Menschen, die auf dem Höhepunkt der Welle helfen wollten. Ihr Fazit: Niemand bereute die Hilfe, dafür haben sie persönlich viel zurückgekriegt. Das Mädchen Fatima wohnt mit ihrer Familie mittlerweile in Drosendorf. Der Kontakt zu Hannes Walha und Angelina Wiesbauer hat bis heute gehalten und sich zu einer echten Freundschaft entwickelt. Und Pfarrer Paul Nitsche hat in Graz gelernt, dass Hilfe am besten in kleinen Portion geschieht.

Auch Christian Hlade wollte durch seinen Blogeintrag nicht seinen Frust loswerden, sondern eine sinnvolle Diskussion über gelungene Integration anstoßen. Er schlägt mehr Auseinandersetzung und Gespräche mit Flüchtlingen vor. Deutschlernen soll eingefordert werden, Ziele sollen gesetzt und falsche Vorstellungen vom „Westen als Schlaraffenland“ aktiv abgebaut werden. „Das Thema ist lösbar“, ist er überzeugt. Aber weder durch rechte Parolen, noch durch die rosarote Brille.

Damals und Heute

Vor einem Jahr porträtierte die „Presse am Sonntag“ drei Flüchtlingsprojekte und setzte sich mit der großen Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung auseinander.

Ein Jahr später haben wir nachgefragt, wie es den Menschen seither ergangen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2016)

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