Öffentlicher Verkehr: Was Bus und Zug fürs Dorf tun

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Schienen(c) Die Presse/Clemens Fabry
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Ob Ortschaften wachsen oder schrumpfen, hängt maßgeblich vom öffentlichen Verkehr ab. Wo dieser gut und schlecht ausgebaut ist – und warum Kreativität gefragt ist.

Der Kampf der Bürgermeister gegen das Aussterben ihrer Gemeinden durch die Stadtflucht ist vielerorts ein erbitterter. Hedwig Wechner gehört zu den Siegern. Die ehemalige SPÖ-Nationalratsabgeordnete ist seit 2010 Listenbürgermeisterin der Tiroler Gemeinde Wörgl – und diese ist seit Jahren eine der am stärksten wachsenden Österreichs. Zwischen 2001 und 2011 ist die Bevölkerung laut Statistik Austria dort um 17,1 Prozent gewachsen, der Ort zählt heute rund 13.000 Einwohner. Dazu ist Wörgl für viele Umlandgemeinden zum Zentrum der Region geworden – rund 5000 Menschen pendeln täglich hierher zur Arbeit, gehen hier essen und kaufen ein. Doch was funktioniert hier, was andernorts nicht gelingt?


Großes Angebot. Eine aktuelle Studie des Verkehrsclubs Österreich (VCÖ) hat die Bedeutung des öffentlichen Verkehrs für 124 regionale Zentren untersucht. Das sind neben den Bezirkshauptstädten auch kleinere Städte, die laut Österreichischer Raumordnungskonferenz (Örok) eine hohe Bedeutung für die Region haben: als Einpendelort für Beschäftigte, Schulstandort oder medizinische Versorgung.

Wörgl ist laut Studie jene Kleinstadt, die in Österreich am besten angebunden ist. 164-mal am Tag rollt ein Zug auf dem Bahnhof ein, 248-mal täglich fahren Busse aus und nach Wörgl, um Aus- und Einpendler in Umlandgemeinden zu bringen. Und der Ort selbst hat einen Citybus, der im 30-Minuten-Takt fährt. Weiters wird auch Wert darauf gelegt, dass Radfahren und Zu-Fuß-Gehen attraktiv sind – wenn Menschen auf der Straße sind, belebt das die Stadt. „Wir arbeiten daran, das noch weiter auszubauen“, sagt Wechner. So soll der Citybus bald gratis angeboten werden. Weiters sollen jene Unternehmen finanziell unterstützt werden, die fördern, dass Mitarbeiter mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit kommen.

Dass Wörgl aber überhaupt so viel in öffentliche Verkehrsmittel investieren kann, ist auch eine politische Entscheidung von Land und Bund, die viel Geld zuschießen. Infrastruktur in Österreich zur Verfügung zu stellen ist Teil der Daseinsvorsorge und somit Aufgabe der öffentlichen Hand – wie dicht das Netz aber sein muss, dafür sind die Vorgaben schwammig und stark von den Entwicklungsplänen der einzelnen Länder abhängig.


Ringen um Bahnlinie. Derzeit erreichen in Österreich (ohne Wien) 97 Prozent der Bevölkerung ein regionales Zentrum innerhalb von 30 Minuten mit dem Pkw – mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind es dagegen nur 67 Prozent. In Niederösterreich, der Steiermark und Oberösterreich teilweise noch viel weniger – dafür liegt der Erreichbarkeitsgrad etwa in Salzburg oder Vorarlberg bei 79 Prozent. 18 Prozent der österreichischen Bevölkerung leben in Ortschaften mit weniger als 250 Personen, die gar nicht oder kaum an den öffentlichen Verkehr angebunden sind.

Laut Studie haben zwölf der 124 regionalen Zentren keinen Zug – und sind auch sonst schlecht erreichbar. Am allerschlechtesten schneidet die Gemeinde Birkfeld in der Oststeiermark ab – anders als in Wörgl wurde hier in den vergangenen Jahrzehnten nicht investiert, sondern sukzessive reduziert. Anfang der 1990er-Jahre wurde hier die Lokalbahn in die Bezirkshauptstadt Weiz eingestellt. Sie wird derzeit nur als Touristenbahn geführt, die in der warmen Jahreszeit zwei- bis dreimal pro Woche fährt. Es gibt seit Jahren Bestrebungen, die Strecke wiederzubeleben: „Wir wollen den Zug einerseits für den Personenverkehr, andererseits als Güterverkehrsstrecke nutzen“, so Bürgermeister Franz Derfler (ÖVP). In der Nähe befindet sich ein großes Talkumwerk, das schon zugesagt hat, auf Schiene umzusteigen. Regionalbahnen erfreuen sich in Österreich übrigens wieder großer Beliebtheit. 19 werden in Österreich nicht von den ÖBB betrieben. Sie hatten 2015 mehr als 36 Millionen Fahrgäste – um 1,1 Millionen mehr als im Jahr zuvor.

Für Birkfeld gibt es 24 Busverbindungen pro Tag – früher waren es deutlich mehr: „Heute sind das eigentlich nur mehr Schülerbusse“, sagt Derfler. Die ganze Region hätte aufgrund der schlechten Verkehrsanbindung große Probleme: „Die Wirtschaft siedelt sich ohne Infrastruktur nicht an – und ohne Arbeitsplätze gehen die Menschen weg.“ Das Hinterland seiner Gemeinde breche immer mehr weg. „Es ist eine politische Entscheidung, ob man den ländlichen Raum erhalten und lebenswert machen will, auch, wenn es nicht immer gleich wirtschaftlich ist. Ich stelle fest: Das will man hier offensichtlich nicht.“

Als Faustregel lässt sich aus der Studie ableiten: Regionale Zentren, die gut angebunden sind, wachsen – jene, die schlecht angebunden sind, schrumpfen eher. Die Untersuchung zeigt aber auch: Es muss nicht immer Bus oder Bahn sein – viele Orte haben innovative Modelle von Bedarfsverkehren entwickelt, die als Zubringerdienst den öffentlichen Verkehr unterstützen: Diese reichen vom Anrufsammeltaxi über Bürgerbus, Citytaxi, Dorfmobil, Gemeindebus bis zum Jugendtaxi. Denn damit öffentlicher Verkehr genutzt und somit auch irgendwann erfolgreich wird, sind vor allem drei Faktoren von Bedeutung: Pünktlichkeit, eine gute Taktfrequenz und die Fahrzeit. In Wörgl hat man sich das step-by-step aufgebaut: „Wir haben herumprobiert, erweitert, optimiert – und jetzt wird es auch gut genutzt“, sagt Wechner. Not mache eben erfinderisch.

In Zahlen

97%der Bevölkerung
erreichen ein regionales Zentrum mit einem Pkw in 30 Minuten. Dies gelingt mit öffentlichen Verkehrsmitteln in den Bundesländern Oberösterreich, Steiermark und Niederösterreich weniger als zwei Dritteln der Bewohner.

39,6Mio. Fahrgäste
verzeichneten die Regionalbahnen (ohne ÖBB) vergangenes Jahr. Das sind um 1,1 Millionen Euro mehr als zuvor.

18%der Bevölkerungleben in Orten, die weniger als 250 Einwohner haben. Diese sind nicht oder kaum an den öffentlichen Verkehr angebunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2016)

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