Schubhaft: 20-jähriger Inder stirbt nach Hungerstreik

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Der Häftling befand sich seit 7. August im Hungerstreik. Insgesamt verweigert jeder dritte Schubhäftling die Nahrungsaufnahme, um haftuntauglich zu werden. Oftmaliger Grund: schlechte Haftbedingungen.

Montagmorgen, 7.15 Uhr: In seiner Zelle im Polizeianhaltezentrum (PAZ) auf dem Hernalser Gürtel bricht der 20-jährige Schubhäftling Ganganpreet Singh K. zusammen. Seine Mithäftlinge und der Arzt des PAZ versuchen, ihn zu reanimieren, auch ein Notarzt kommt hinzu. Ohne Erfolg: Um acht Uhr wird er für tot erklärt. Der Häftling befand sich seit 7. August im Hungerstreik. Er verstarb „aus noch unbekannter Ursache“, heißt es in einer Mitteilung der Wiener Polizei.

Wer war der junge Inder, der seit seinem Tod wieder einmal die Praxis der heimischen Schubhaft in den Mittelpunkt stellt? Und welche waren die Gründe dafür, dass er der Schubhaft mit allen Mitteln entkommen wollte?

Kritik an Haftbedingungen

Ganganpreet Singh K. reiste 2006 illegal nach Österreich. Er stellte einen Asylantrag, der Anfang 2009 nach rund drei Jahren rechtskräftig abgelehnt wurde. Für den Inder bedeutete das die Ausweisung aus Österreich. Er tauchte unter. Anfang August dieses Jahres war er dann im 21. Bezirk an einem Autounfall beteiligt und geriet so wieder ins Netz der Behörden. Er kam in Schubhaft.

Wenige Tage später, am 7. August, trat er in den Hungerstreik. Sein Ziel: die Freilassung wegen Haftunfähigkeit. Dabei ist es nicht nur die Angst vor der Rückkehr ins Heimatland, die gescheiterte Asylwerber wie K. zu drastischen Maßnahmen greifen lässt. Viele von ihnen protestieren so gegen die Haftbedingungen selbst. Diese werden in Österreich regelmäßig kritisiert. Nicht nur von hiesigen Menschenrechtsorganisationen, sondern auch von international anerkennten Expertengremien und dem Innenministerium selbst.

Der ebendort angesiedelte Menschenrechtsbeirat monierte zuletzt fragwürdige hygienische Zustände, zu wenig Beschäftigungsmöglichkeiten für Insassen und mit Kot verschmierte Zellen. Mindestens genauso deutlich sind die Berichte der Commission of Prevention of Torture (CPT) sowie der European Commission against Racism and Intolerance (ECRI) – beides Institutionen des Europarates. Sie berichten von lediglich einer Stunde Hofgang täglich, Duschen sei nur einmal pro Woche erlaubt. In den Zellen sei das besonders unangenehm, weil dort bis zu vier Personen auf 20 Quadratmetern zusammenleben müssen. Zudem sei Schubhäftlingen der Zugang zu Rechtsmitteln de facto verwehrt, weil sie weder die richtigen Leute kennen noch über die finanziellen Mittel dafür verfügen. ECRI fasste die Situation in Österreich in seinem letzten Bericht aus dem Jahr 2005 als „gänzlich inakzeptabel“ zusammen, der nächste Bericht ist gerade in Ausarbeitung.

Um das ultimative Ziel vieler Schubhäftlinge, die Haftunfähigkeit, zu erreichen, ist der Hungerstreik aber nur ein Mittel, das in etwa jeder dritte Inhaftierte anwendet. So verschlucken die einen Batterien, um medizinische Eingriffe zu erzwingen, andere verstümmeln sich selbst. Erst kürzlich fügte sich ein PAZ-Insasse mit einem Messer derart viele und tiefe Schnitte am und im Bauch zu, dass er mehrere Tage stationär im AKH bleiben musste. Schließlich verschwand er von der Bildfläche. Der Polizei fehlt es an Personal, solche Personen auch im Krankenhaus zu überwachen. Das geschieht nämlich nur, so lange sich die Betroffenen in Haft befinden, wie etwa im Fall des verstorbenen K.

„Hungerstreik komplikationsfrei“

„Der Amtsarzt untersuchte ihn jeden Tag auf seine Hafttauglichkeit“, erklärte Polizeisprecher Johann Golob. Laut Krankenakte verlief der Hungerstreik des knapp 1,75 Meter großen Mannes „an sich komplikationsfrei“. Jedoch soll der 20-Jährige im vergangenen Monat nicht nur Wasser zu sich genommen haben. Es war zwischenzeitlich sogar eine Nahrungsaufnahme feststellbar. So wird im Akt festgehalten, dass K. im Laufe des Augusts zwar an Gewicht verloren, in den vergangenen Tagen aber wieder ein wenig zugenommen haben soll. Sein Allgemeinzustand sei bis zuletzt gut gewesen. „Über seinen Gesundheitszustand gibt es eine lückenlose Aufzeichnung der täglichen medizinischen Untersuchungen“, erklärt Josef Zinsberger, Leiter des PAZ. Bei der letzten Untersuchung vor seinem Tod, die am Sonntag stattfand, habe es keine Auffälligkeiten gegeben.

Der 20-Jährige sei ein „unauffälliger Häftling“ gewesen, sagte Zinsberger. Es gebe keinerlei Einträge, er habe sich während seiner Zeit im PAZ „völlig ruhig verhalten“. Laut Golob habe er regelmäßig Besuch von Verwandten und NGO-Vertretern bekommen. Mit der Schießerei in dem Sikh-Gebetshaus in Rudolfsheim-Fünfhaus hatte Gaganpreet Singh K. „nach derzeitigem Informationsstand“ nichts zu tun, heißt es bei der Polizei.

Die Behörde ist am Montag davon ausgegangen, dass es „nach derzeitigen ärztlichen Erkenntnissen keinen offensichtlichen Zusammenhang zwischen Hungerstreik und Todesursache“ gibt. Allerdings wurde eine gerichtsmedizinische Obduktion angeordnet.

Der Fall K. zeigt einmal mehr, wie schwierig es ist, mit Schubhäftlingen umzugehen, die sich offenkundig in Extremsituationen befinden. Polizeibeamte, die im Wiener PAZ ihren Dienst versehen, müssen deshalb auch verpflichtende Seminare zum richtigen Umgang mit solchen Insassen besuchen. Als wie gefährlich das Innenministerium die Betreuung von Schubhäftlingen einstuft, zeigt der Umstand, dass für diese Arbeit vor allem Beamte mit besonderen Erste-Hilfe-Kenntnissen eingesetzt werden. Übergriffe gegen Polizisten selbst seien allerdings extrem selten.

Vorbild Skandinavien

Ebenfalls extrem selten sei auch, dass Schubhäftlinge zwangsernährt werden. Dies ist rechtlich auch nur dann möglich, wenn der Arzt das für medizinisch notwendig hält und die Abschiebung des Häftlings unmittelbar bevor steht.

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Warum es ausgerechnet in Österreich immer wieder zu Zwischenfällen beim Vollzug der Schubhaft kommt, hängt laut Menschenrechtsorganisationen vor allem damit zusammen, dass es erstens an Geld und zweitens am politischen Willen fehle, die entsprechenden Mittel aufzubringen. Philipp Sonderegger, Sprecher von SOS-Mitmensch, nennt in diesem Zusammenhang die skandinavischen Länder als Vorbild. Ebendort käme anstatt der Schubhaft und der anschließenden Zwangsabschiebung viel häufiger das Mittel der freiwilligen Rückkehrhilfe zum Einsatz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2009)

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