Amokfahrer-Prozess: Zeugen schildern Angst und Chaos

Der Gerichtssaal am Donnerstag vor Start der Verhandlung
Der Gerichtssaal am Donnerstag vor Start der VerhandlungAPA/ERWIN SCHERIAU/APA-POOL
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Zeugen und Opfer berichteten am dritten Prozesstag sichtlich bewegt über ihre Erlebnisse vom 20. Juni 2015. In einem Punkt waren sie einig: Der SUV wurde ganz gezielt auf Menschen zugesteuert.

Im Grazer Straflandesgericht ist am Donnerstag das Verfahren gegen Alen R. fortgesetzt worden. Anhand von Zeugenaussagen wurde die Amokfahrt, bei der drei Menschen getötet wurden, nochmals lebendig. Die Befragten schilderten ihre Erlebnisses sichtlich bewegt, waren sich aber in einem Punkt einig: Der Geländewagen war ganz gezielt auf die Menschen zugesteuert worden.

Der 20. Juni 2015 war ein strahlender Sommertag, dementsprechend viele Menschen befanden sich um die Mittagszeit in der Grazer Innenstadt, und ganz besonders in der Fußgängerzone in der Herrengasse. Mehr als hundert Zeugen wurden geladen, nicht alle sind erschienen. Doch aus den Puzzleteilen der einzelnen Aussagen ergab sich am dritten Verhandlungstag das Bild eines ganz gezielt auf Passanten und Radfahrer zurasenden Autos, das in wenigen Minuten Angst, Schrecken und Chaos auslöste.

Alen R. und seine Verteidigerin Liane Hirschbrich
Alen R. und seine Verteidigerin Liane HirschbrichAPA/ERWIN SCHERIAU/APA-POOL

"Das Kind ist da gelegen wie eine Puppe"

Unter den drei Todesopfern war eine 53-jährige Frau, die einige Zeit nicht identifiziert werden konnte. Ein Zeuge schilderte, wie er sich selbst gerade noch retten konnte und sah, wie die 53-Jährige angefahren wurde. "Ich bin zu ihr hin und habe ihren Puls gefühlt, aber sie war bereits sterbend", erklärte der langjährige Rettungsmitarbeiter. Die tote Frau hatte bei einem anderen Passanten einen Schock ausgelöst, weil er zuerst dachte, es sei sein Sohn, mit dem er unterwegs war und der die gleiche Hose getragen hatte. Der Sohn und die Mutter hatten sich allerdings bei der Stadtpfarrkirche in einen Mauervorsprung gerettet, der Vater war auf die Stufen geflüchtet. "Mein Mann hat geschrien, weil er unseren Sohn nicht gleich gesehen hat und gedacht hat, er liegt da", beschrieb die Mutter.

Jene Zeugen, die über den getöteten vierjährigen Buben sprechen, können zum Teil ihre Tränen nicht zurückhalten. "Das Kind ist da gelegen wie eine Puppe, kein Blut nichts. Das Kind, das Sie gerade noch gesehen haben, wie es sich bewegt", beschrieb es ein Mann. Für eine Zeugin ist es unvorstellbar, "dass ein Mann, der selbst kleine Kinder hat, ein kleines Kind zu Tode fährt".

Eine ältere Frau hörte damals einen aufheulenden Motor und sah gleich darauf, dass "ein Radfahrer in hohem Bogen durch die Luft flog". Dann sei der Wagen direkt auf sie zugefahren "und ich hab' mir gedacht, jetzt sterb' ich auf der Straße." Sie spürte einen "wahnsinnigen Schmerz" und erlitt einen Knöchel- sowie einen Mittelfußbruch. Als die Verteidigerin ihr anbot, dass sich Alen R. bei ihr entschuldigen könnte, lehnte die Frau ab: "Danke".

Richter Andreas Rom vor Verhandlung
Richter Andreas Rom vor Verhandlung APA/ERWIN SCHERIAU/APA-POOL

Zweifel an Erinnerungslücken

Obwohl Alen R. bisher immer - und auch am Donnerstag mehrmals - betonte, er könne sich an die Fahrt nicht erinnern, wusste er doch, dass er in der Stubenberggasse gewendet hatte: "Eine Sackstraße, da war eine Baustelle", sagte er ganz konkret. Richter Rom wurde am dritten Verhandlungstag mehrmals laut. "Sie können sich immer erinnern, wenn Ihre Verteidigerin fragt. Wenn ich Sie frage, wenn die Geschworenen fragen, können Sie sich nie erinnern, dann sind sie selbst Opfer. Erklären Sie mir das", sagte er etwa zu Alen R.

Die Verhandlung wird am Freitag um 9.00 Uhr mit der Befragung weiterer Zeugen fortgesetzt.

Die Live-Berichte von den ersten drei Prozesstagen:

Als ''Betroffener'' vor Gericht

Seit Dienstag steht der 27-Jährige Alen R. in Graz vor Gericht. Weil gegen ihn keine Anklage, sondern aufgrund seiner Unzurechnungsfähigkeit nur ein Antrag auf Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingebracht worden ist, wird er vor Gericht als "Betroffener" und nicht als "Angeklagter" geführt. 130 Zeugen sind geladen, darunter auch drei psychiatrische Sachverständige und andere Gutachter. Der Prozess wurde für neun Tage (bis 30. September) anberaumt.

(APA)

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