Flüchtlinge zwischen Straße und Bruchbude

(c) Stanislav Jenis
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Sie zahlen hohe Mieten und wohnen trotzdem oft in desolaten Häusern, die ihre eigenen Landsleute als Massenquartiere anbieten. Besuch in einem Haus, in dem niemand wirklich wohnen will.

Ende März 2016. Die Zeit läuft ihm davon. Seit drei Monaten sucht Ahmad schon. Er hat bei Freunden nachgefragt, Anzeigen auf willhaben.at angesehen, mit arabischen Maklern gesprochen. Immer lautete die Antwort: Nein. Jetzt hat er nur noch drei Tage Zeit. 72 Stunden, um eine Wohnung in Wien zu finden, 72 Stunden, um zumindest ein Dach, ein Bett, Bad und Klo aufzutreiben. In 72 Stunden werden seine Frau und seine Tochter mit dem Flieger in Österreich landen. Familiennachzug laut §35 Asylgesetz. Seine Tochter hat er zuletzt gesehen, da war sie wenige Monate alt. Das ist jetzt eineinhalb Jahre her.

Er sieht die Mängel der Wohnung sofort. Das weiß getünchte Zimmer ist schmal. Gerade einmal so breit, dass sich eine Couch und eine Matratze nebeneinander ausgehen. Dazwischen bleiben wenige Zentimeter, um zu gehen. Dafür bröckelt an den Wänden der Verputz, weil Regenwasser in die Mauern eingedrungen ist. Der Dachboden des Altbaus wird derzeit ausgebaut. Aber es ist besser, als auf der Straße zu leben. 72 Stunden. Ahmad weiß, er hat keine andere Wahl.

Ein halbes Jahr später. Ahmad sitzt mit seiner Frau Laila in der kleinen Wohnung, zu der auch eine Küche, Bad und Klo gehören. Neben ihnen klettert Aisha mit dunklen Locken zwischen Matratze und Couch hin und her. Die Betten der Eltern sind gleichzeitig ihr Spielplatz. „Es ist viel zu feucht hier“, sagt Ahmad. Aisha sei deswegen krank geworden, sie musste zum Arzt. Das Haus hat zwar eine Heizung, aber sie funktioniert nicht. Es gibt fast nie Warmwasser. Laila, 26 Jahre alt, die Augen dunkel, das Lächeln breit, ist mittlerweile schwanger. Bald werden sie auf kleinstem Raum zu viert leben. „Wie soll das gehen?“, fragt sich Ahmad. Die 35 Jahre sind ihm nicht anzusehen. Sein Gesicht ist glattrasiert. Die schlaksigen Beine stecken in grauen Jogginghosen. Seine Frau legt eine kleine Plastikdecke auf den Boden, auf der sie Huhn mit Reis, Kartoffeln und Pitabrot ausbreitet. Der Platz reicht nicht für einen Tisch.

Für ihre winzige Wohnung von ungefähr 18 Quadratmetern zahlen sie 480 Euro inklusive Strom und Wasser. Schon längst will Ahmad mit seiner Familie woanders hinziehen, aber er kann nicht. Nicht, weil er kein Geld hat, sondern weil niemand an ihn vermieten will. Für anerkannte Flüchtlinge ist es de facto unmöglich, eine Wohnung auf dem privaten Wohnungsmarkt zu finden. „Sie wollen immer den Lohnzettel sehen“, sagt Ahmad. So wie die meisten Asylberechtigen beziehen er und seine Familie aber noch Mindestsicherung.

Er ist damit Teil der österreichischen Integrationsstrategie, die lautet: Flüchtlinge sollen zuerst Deutsch lernen, im Idealfall auch einen österreichischen Abschluss nachmachen, bevor sie zu arbeiten beginnen. In dieser Zeit leben sie von der Mindestsicherung. So soll vermieden werden, dass zu viele Menschen im Niedriglohnsektor landen und langfristig dem Steuerzahler auf der Tasche liegen, wie man seitens des AMS Wien oft betont.

Eigene Wohnungsprogramme für Flüchtlinge gibt es aber nicht. Gerade in Wien, wo zwei Drittel aller Flüchtlinge hinziehen, sobald ihr Antrag positiv beschieden ist, wird SPÖ-Wohnbaustadtrat Michael Ludwig nicht müde zu betonen, dass er keine Sonderbehandlung für Flüchtlinge will. Wiener, die schon länger hier leben, werden im geförderten Wohnbau und Gemeindebau bevorzugt. In den vergangenen Jahren waren rund 100 Personen von rund 10.000 neuen Wohnungen Asylberechtigte, heißt es aus dem Büro von Ludwig. Jene, die mit der aktuellen Flüchtlingswelle ins Land kamen, seien meist noch nicht anspruchsberechtigt.

Hilflose NGOs. Auch NGOs können nur einen Bruchteil der Flüchtlinge mit Wohnungen versorgen. Ihre Wartelisten sind lang. Die Idee, dass NGOs Wohnungen für Flüchtlinge anmieten, damit Privatpersonen eher bereit sind, ihre Wohnungen herzugeben, findet in der Praxis de facto nicht statt. Und wenn, dann nur für Flüchtlinge, die von NGOs betreut werden. So entstehen vor den Augen aller Parallelwelten. Flüchtlinge müssen sich auf andere Flüchtlinge verlassen, um Wohnungen zu finden. Syrer, Iraker und Afghanen rücken zusammen, kleine Wohnungen werden zu dritt, zu viert, zu siebt bewohnt – meist zu viel zu hohen Preisen. Gleichzeitig drängen immer mehr Menschen auf den Wohnungsmarkt, da ihr Asylantrag positiv entschieden wurde.

Nutznießer sind oft die eigenen Landsleute, viele davon Iraker, die schon länger hier sind und das große Geschäft wittern. Sie fungieren als Makler, verlangen oft hohe Provisionen, wie Flüchtlinge berichten, kaufen oder vermieten gleich selbst Häuser oder bauen darin möglichst viele kleine Wohnungen, um den Gewinn zu steigern. So entsteht ein abgeschotteter Wohnungsmarkt – finanziert durch die Mindestsicherung.

Das Geschäft mit der Not. In Ahmads Haus leben mehr als 25 Familien auf drei Stockwerke verteilt. Alle kommen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan. Da gibt es Mohammed (Name geändert), der die Einzimmerwohnung mit einem Freund teilt und sich jedes Mal entscheiden muss, ob er den Herd oder die Waschmaschine einschaltet, weil sonst die Sicherung fliegt. Ibrahim, der Ingenieur, und noch weitere Familien mit bis zu acht Kindern. Sie zahlen hier zwischen 480 Euro für 18 m2 und bis zu 750 Euro für 43 m2, inklusive Strom und Wasser. Die meisten im Haus suchen schon eine andere Bleibe. Erfolglos.

„Solche Situationen betreffen leider viele Migranten und Menschen, die schon in Notsituationen sind“, sagt Elke Hanel-Torsch von der Mietervereinigung Wien. „Auch als Flüchtling kann ich den Mietzins überprüfen lassen und mindern, wenn ich nicht das bekomme, was vereinbart ist. Aber die wenigsten tun es“, sagt sie. Denn meistens seien die Wohnungen befristet vermietet. Wer sich wehrt, dessen Vertrag wird nicht verlängert.

Auch Ahmad zögert, sich zu wehren. Er ist seit zwei Jahren in Österreich, aber österreichische Freunde hat er nicht. „Das ist ein Problem, aber ich weiß nicht, woran es liegt“, sagt er. Er würde gerne mehr mit Österreichern zu tun haben, auch weil sein Deutsch dann besser wäre. Seine Freunde sind die arabischen Nachbarn im Haus. Sie verbringen die Tage in den Wohnungen, essen gemeinsam und trinken Kaffee mit viel Zucker. Das Fastenbrechen im Ramadan habe man gemeinsam verbracht. Gekocht hätten die Frauen bereits in der Früh, da zu der Zeit der Strom nur wenige Stunden am Tag verfügbar war. Seine Asylwerberzeit hat Ahmad in Graz verbracht, er ging nach Wien, weil er meinte, die besten Chancen zu haben. In Syrien hatten er und Laila ein Haus mit großem Garten und ein Geschäft.

Durch die Decke gestoßen. Es klopft an der Tür. Im Nebenzimmer beraten sich die Hausbewohner, ob sie die Zustände im Haus der Baupolizei anzeigen sollen. Vor allem Ibrahim, der Ingenieur aus Palästina, hat genug. „Es ist alles kaputt hier“, sagt er und deutet auf einen Riss in der Wand. Der sei erst vor wenigen Tagen aufgetreten, plötzlich hätte es geknackt, und der Verputz sei heruntergerieselt. Er deutet auf ein verputztes Loch in der Decke. „Da haben sie beim Dachausbauen durchgebohrt, ein Stück von der Decke ist meinem Cousin auf den Kopf gefallen.“ Er seufzt. „Sind wir hier in Österreich?“ „Er (der Generalmieter, Anm.) nimmt unser Geld, aber er repariert nichts.“ Ein kleiner Boiler für Warmwasser, den er nach langem Bitten vom Generalmieter bekommen habe, sei gleich explodiert. Er zeigt das Foto des kaputten Gerätes.

Verantwortlich für das Haus ist ein gebürtiger Iraker (Name der Redaktion bekannt). Er hat das Haus gemietet und vermietet die Wohnungen in Untermiete, erzählt er der „Presse“. Die Probleme mit Heizung und Warmwasser würden in den nächsten Tagen behoben. Und zwar allesamt. Kalt, sagt er, sei es aber nie gewesen. Er hätte mobile Heizkörper besorgt. „Offenbar war die alte Zentralheizung mit Öl befeuert. Eine Reparatur hat das Magistrat nicht mehr genehmigt. Jetzt kommt eine Neuinstallation, damit soll in den nächsten zwei Wochen begonnen werden“, heißt es seitens der Hausverwaltung, die über die Arbeiten informiert. Die Wasserflecken dürften durch die Arbeiten am Dach entstanden sein.

Die Bewohner des Hauses glauben nicht an die Versprechen. „Es heißt immer, morgen wird alles repariert, aber es passiert nichts“, kritisiert Ibrahim. Als er eingezogen sei, hätte es an den Wänden Schimmel gegeben. Die zitierten Radiatoren hätten, ob des fragilen Stromnetzes, selten funktioniert. Auch die Staatsanwaltschaft Wien kennt den Namen des Generalmieters. Seit Ende Dezember 2014 wird gegen ihn und rund ein Dutzend andere Männer ermittelt. „Der Vorwurf lautet Ausbeutung von Fremden sowie Sachwucher nach §155 StGB“, so eine Sprecherin.

„Er hat uns gesagt, wenn wir ausziehen wollen, dann sollen wir es tun. In drei Stunden zieht jemand neuer ein“, erzählt Ahmad. Auf einmal auf der Straße stehen, davon hat er am meisten Angst. „Ich habe ein Kind und eine schwangere Frau“, sagt er. Das ist auch der Grund, warum „Die Presse“ seinen Vornamen und den seiner Familie geändert hat – und er sich nicht fotografieren lassen wollte. Er blickt sich im engen Zimmer um. „Zur Zeit ist es das Beste, was wir haben.“

Auf einen Blick

Asylberechtige haben auf dem privaten Wohnungsmarkt de facto keine Chancen, eine Wohnung zu finden. Eigene Wohnprogramme für anerkannte Flüchtlinge gibt es in Wien nicht.

NGOs wie die Caritas, die Diakonie oder die Wohnungsdrehscheibe suchen Wohnungsbesitzer, die an Flüchtlinge vermieten wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2016)

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