Lebenslange Haft für Amokfahrer Alen R.

PROZESS NACH AMOKFAHRT IN GRAZ: ALEN R.
PROZESS NACH AMOKFAHRT IN GRAZ: ALEN R.(c) APA/ERWIN SCHERIAU/APA-POOL
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Nach kaum zweistündiger Beratung fällten die Geschworenen einstimmig einen Schuldspruch wegen dreifachen Mordes und 108-fachen Mordversuchs. Der Spruch ist noch nicht rechtskräftig.

Graz. Am Ende wurde es doch die Höchststrafe, lebenslange Haft. Zudem wurde Alen R. in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Der Schuldspruch erging wegen dreifachen Mordes – unter den Toten ist ein fünfjähriger Bub – und wegen 108-fachen versuchten Mordes.
Somit steht fest: Die Geschworenen haben sich dem als Obergutachter bestellten forensischen Psychiater Jürgen Müller (Uni Göttingen, Niedersachsen) nicht angeschlossen. Dieser hatte den 27-jährigen Amokfahrer von Graz als nicht zurechnungsfähig eingestuft. Auch die Staatsanwaltschaft hatte sich diesem Gutachten angeschlossen bzw. anschließen müssen. Und „nur“ einen Antrag auf Einweisung (keine Anklageschrift) eingebracht.
In nur knapp zweistündiger Beratung setzten sich nun eben die acht Laienrichter über die Einstufung „Zurechnungsunfähigkeit“ hinweg. Sie schlossen sich vielmehr dem Grazer Gutachter Manfred Walzl und der Grazer Psychologin Anita Raiger an. Walzl hatte den vielfach auch als „Todeslenker“ bezeichneten Mann als durchaus zurechnungsfähig gesehen. Und hatte dabei fachliche Rückendeckung durch die psychologische Expertise erhalten.

Regungslos beim Urteil

Die Urteilsverkündung, für die das Justizwache-Aufgebot verstärkt worden war, ließ R. ruhig über sich ergehen. Er zeigte wie auch während der achttägigen Verhandlung im Großen Schwurgerichtssaal des Grazer Straflandesgerichts keine Regung. Am Schluss fragte er laut seiner Anwältin Liane Hirschbrich nur, ob er „in Graz“ bleiben dürfe.
Rechtskräftig ist dieser Spruch freilich noch nicht. Hirschbrich kündigte an, Rechtsmittel, Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung, einzubringen. Die Staatsanwaltschaft Graz gab vorerst noch keine Stellungnahme ab. Damit könnten auch von dieser Seite noch Rechtsmittel kommen.

Bei der Kombination Strafe plus Einweisung wird zunächst die Einweisung in eine psychiatrische Abteilung – solche Abteilungen befinden sich auch in bestimmten Haftanstalten – vorgenommen. Wenn der Eingewiesene als geheilt gilt, wird er in den Strafvollzug überstellt. Und da liegt der große Unterschied zwischen einer reinen Einweisung und der genannten Kombination. Wäre R. „nur“ (unbefristet) eingewiesen worden, hätte er die Aussicht gehabt, nach ein paar Jahren auf freien Fuß gesetzt zu werden – ein für viele Opfer oder Angehörige von Opfern unerträglicher Gedanke. Da nun aber – freilich noch nicht rechtskräftig – auf „lebenslang“ entschieden wurde, muss sich R. auf eine ganz andere Zukunft einstellen. Schuldig gesprochene Personen, die eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen, kommen in Österreich im Durchschnitt nach 22 Jahren frei. Selbst die beiden Staatsanwälte Rudolf Fauler und Hansjörg Bacher hatten zuletzt im Plädoyer durchklingen lassen, dass der von ihnen gestellte Einweisungsantrag nicht bindend sei. Sie richteten eine vielsagende Botschaft an die Geschworenen: „Sie dürfen nach Ihrem Bauchgefühl entscheiden, das dürfen Sie als Laienrichter nach dem Gesetz.“

Und, so Fauler weiter: „Alen R. hat vielen Menschen großes Leid zugefügt.“ Bacher widmete sich der Frage der Zurechnungsfähigkeit. Und sagte den Laienrichtern im Hinblick auf die Meinungsverschiedenheiten der Gerichtspsychiater: „Sie können nicht falsch entscheiden, Sie haben immer einen Professor hinter sich.“
Insgesamt war dieser Prozess wahrlich außergewöhnlich. Einerseits war da die dramatisch hohe Opferbilanz, die der Amokfahrer am 20. Juni 2015 in der Grazer Innenstadt verursacht hatte. Andererseits das ständige Kreisen um die zentrale Frage, ob Alen R. überhaupt schuldfähig sei. Aber auch so manch andere Besonderheit hatte die Verhandlung zu bieten: So wurde das Prozessgeschehen live in einen anderen Gerichtssaal übertragen, wo das Publikum wie im Kino diesen Gerichtssaal-Thriller mitverfolgen konnte. Auch die Zeugenliste suchte ihresgleichen: Mehr als 130 Personen waren geladen. Darunter auch der Grazer Bürgermeister, Siegfried Nagl, der einerseits selbst beinahe zum Opfer des Amoklenkers geworden wäre – und andererseits als Politiker schon im Vorfeld des Prozesses seine Meinung kundgetan hatte. Nämlich, dass jemand wie R. lebenslang von der Gesellschaft ferngehalten werden solle.

Der Amoklenker war besonders intensiv analysiert worden. Wenngleich sich die Mutmaßung, es könne sich um einen islamistisch motivierten Terroranschlag gehandelt haben, nicht erhärten ließ (der Richter hatte dies offen angesprochen), so bot der Lebensweg des 27-Jährigen immer noch genug Stoff für Spekulationen. Es kam etwa heraus, dass der Mann, der als vierjähriges Kind mit seinen Eltern von Bosnien nach Österreich geflüchtet war, Kontakte zu einem ebenfalls in Bosnien geborenen Mann, einem gewissen Fikret B. (49), hatte. Dieser Fikret B. war erst im März wegen Terrortatbeständen in Bezug auf die Terrormiliz Islamischer Staat zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Abgesehen von dieser Auffälligkeit sorgte Alen R. auch durch seine Bekleidung für Gesprächsstoff. Vom ersten bis zum achten und letzten Verhandlungstag trug er denselben weißen, zu großen Anzug, dazu weiße Schuhe.

Verteidigerin gegen Psychologin

Ehe sich die Geschworenen zur Beratung zurückzogen, kam es noch zu Streit zwischen Psychologin Raiger und Anwältin Hirschbrich. Raiger hatte bei dem Betroffenen eine „psychopathische Störung“ festgestellt und ihn als „hochgefährlich“ eingeordnet. Sie sagte: „Es zeigt sich eine auffallend hohe Lügenbereitschaft. Alles, was ihm nachgewiesen werden konnte, dementiert er.“
Hirschbrich zu Raiger: „Sie sagen, er habe eine hohe Lügenbereitschaft. Gleichzeitig ist er überdurchschnittlich intelligent, wie Sie mit einem Test festgestellt haben. Ist es nicht unintelligent von Herrn R., seinen hohen IQ preiszugeben?“ Raigers Konter: „Das habe ich gut gemacht, oder?“

Das Urteil wurde am Abend verkündet. Die Nachlese zu unserem Live-Ticker aus dem Grazer Straflandesgericht:

Rückblick: Der Prozess

  • Am ersten Verhandlungstag gab sich R. höflich, meinte zu den Aussagen der Zeugen nur: "Ich bin selbst Opfer." Mehr...
  • Am zweiten Verhandlungstag wurden Gutachten (Toxikologie, Verkehrstechnik, Gerichtsmedizin) erörtert. Danach schilderten Zeugen die Amokfahrt. Mehr...
  • Am dritten, und vierten Verhandlungstag schilderten weitere Zeugen - teils unter Tränen - die dramatischen Ereignisse vom 20. Juni 2015.

  • Am fünften Verhandlungstag stufte der Sachverständige Peter Hofmann Alen R. als nicht zurechnungsfähig ein. Mehr...

  • Am sechsten Verhandlungstag waren weitere Opfer, die Ex-Frau des Amokfahrers und Ärzte, die R. im Gefängnis behandelt haben, geladen. Mehr...

  • Am siebenten Verhandlungstag kam es zur erwarteten "Gutachter-Schlacht". Mehr...

(Red.)

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