Wie Österreichs Korruptionsjäger in der Datenflut bestehen

THEMENBILD: WIRTSCHAFTS- UND KORRUPTIONSSTAATSANWALTSCHAFT (WKSTA)
THEMENBILD: WIRTSCHAFTS- UND KORRUPTIONSSTAATSANWALTSCHAFT (WKSTA)(c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Mit (schon bald) drei IT-Experten durchforstet die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sichergestellte Daten. Der Gerichtsakt liegt letztlich dann aber doch wieder in Papierform vor.

Was kann eine herkömmliche (also gedruckte) Zeitung, was eine Online-Ausgabe nicht kann – und umgekehrt? Die viel gestellte Frage „Print oder Digital?“ beschäftigt nicht nur Medienmacher und -konsumenten, auch Behörden. Vor allem jene, die immer wieder mit großen Datenmengen konfrontiert sind. Bestes Beispiel: die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA).

Sie muss in praktisch jedem Ermittlungsverfahren entscheiden, welches Material nur digital vorhanden sein soll, und welche Teile in Papierform vorliegen müssen. So komplex die Fälle auch sein mögen – am Ende gilt immer noch: Jeder Akt wird als Papierakt angelegt.

Gerade in den politisch heiklen Strafsachen mit großer Öffentlichkeitswirkung (und solche sammeln sich naturgemäß bei der WKStA) holen die Korruptionsjäger meist sehr weit aus. Klar: Im Vorbeigehen bringt man als Staatsanwalt kaum einen ehemaligen Innen- oder ehemaligen Finanzminister auf die Anklagebank. So wurde etwa das Korruptionsverfahren um die viel zitierte Privatisierung der Bundeswohnbaugesellschaften (Buwog) gegen 55 Verdächtige geführt. 16 davon, darunter Karl-Heinz Grasser, finden sich aktuell in einer 825 Seiten starken (noch nicht rechtskräftigen) Anklageschrift wieder.

Bis es soweit war, wurde fast sieben Jahre ermittelt. Elektronische Daten im Ausmaß von 156.000 Gigabyte wurden untersucht. Um eine Relation zu haben: Diese Datenmenge würde 39.000 USB-Sticks zu je 4 GB füllen. 206 Aktenbände, jeweils mit Hunderten Seiten, wurden durchforstet. 700 Einvernahmen Beschuldigter, Zeugen und Auskunftspersonen durchgeführt. 660 Ermittlungsmaßnahmen wie Hausdurchsuchungen, Sicherstellungen, Telefonüberwachungen, Kontenöffnungen wurden angeordnet. 40 Rechtshilfeersuchen wurden ans Ausland gestellt.

Spezialsoftware für Mails

Aber wie schaffen es die Ankläger, in einer derartigen Flut nicht unterzugehen? Auf „Presse“-Anfrage erklärt dies die WKStA – aus Gründen behördlicher Vorsicht nicht anhand des genannten Buwog-Verfahrens, sondern am Beispiel der Causa Ernst Strasser – ist Letztere doch längst rechtskräftig abgeschlossen, während bei der Buwog der Prozess noch nicht einmal begonnen hat.

Erster Schritt: Computer bzw. Server, die bei Hausdursuchungen ins Netz gehen, werden kopiert. Dann gehen IT-Experten ans Werk. Solche sind nicht nur bei der Polizei beschäftigt, auch bei der WKStA. Derzeit sind es zwei Personen, dieser Tage kommt ein dritter hinzu. Bei Ernst Strasser – der frühere ÖVP-Innenminister war EU-Parlamentarier, ging als Lobbyisten getarnten Journalisten auf den Leim und bekam wegen Bestechlichkeit drei Jahre Haft – galt es, dessen auf mehrere Accounts verteilten E-Mail-Verkehr zu durchleuchten. Da es unmöglich war, jedes einzelne Mail zu lesen, bedurfte es einiger Fantasie. Polizei und Anklagebehörde überlegten Suchwörter und setzten eine Software ein, die danach fahndete. Nach dem Einlangen erster Treffer wurden neue Suchworte angepasst, weitere Treffer folgten. Dann begann man, manuell zu suchen. Interessant: Der Akt wird in „guter, alter“ Papierform angelegt – ist aber auch elektronisch (PDF-Format) verfügbar.

Kein Blättern in Akten mehr

Die elektronische Version wird in aller Regel von den Oberstaatsanwälten der WKStA mit einer eigens entwickelten Software bearbeitet. Das Programm bietet die Möglichkeit, dass sich jeder Ankläger seinen elektronischen Handakt bastelt. So lassen sich Protokolle von Vernehmungen und Protokolle eines Belastungszeugen grafisch direkt nebeneinander stellen. So erspart man sich im Gerichtssaal das Blättern in den Aktenstapeln. „Die Strategie mit den kleinen, bunten Post-it-Blättchen, die man einkleben kann, stößt bei zehn Bänden zu je Hunderten Seiten schnell an ihre Grenzen“, sagt WKStA-Sprecherin Ingrid Maschl-Clausen.

Bleibt die Gewissheit: Ohne Nutzung der Möglichkeiten des Digitalzeitalters wäre die Aufklärung von Wirtschaftsstraftaten praktisch unmöglich. Aber auf das Medium Papier wollen und können die Korruptionsjäger nicht verzichten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2016)

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