Asyl: Mangel an Gerichtsdolmetschern

FORTSETZUNG DES MEDIENVERFAHRENS KARL-HEINZ GRASSER GEGEN. MICHAEL RAMPRECHT
FORTSETZUNG DES MEDIENVERFAHRENS KARL-HEINZ GRASSER GEGEN. MICHAEL RAMPRECHTAPA/GEORG HOCHMUTH
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Nach finanziellen Kürzungen sind für die Polizei keine professionellen, also gerichtlich beeideten Dolmetscher mehr verfügbar – mit Folgen für den Asyl- und Polizeibereich.

Wien. „Unzumutbar.“ Es ist ein drastisches Wort, das Christine Springer verwendet: „Das betrifft vor allem das Asylwesen.“ Sie habe einen offenen Brief an die Gerichtspräsidenten geschrieben und um Unterstützung gebeten, erklärt die Präsidentin der beeideten Gerichtsdolmetscher der „Presse“.

Warum die Gerichtsdolmetscher auf die Barrikaden gehen? „Die Gebühren bei Polizei und Gericht werden laufend gekürzt. Daher gibt es immer weniger qualifizierte Dolmetscher, was sich gerade im Asylbereich auswirkt“, kritisiert Springer. Gerade in diesem Bereich müsse die Polizei „auf Pfuscher zurückgreifen“, so Springer wörtlich – weil die Exekutive nicht genug Geld habe und Gerichtsdolmetscher wegen zu niedriger Gebühren diese Übersetzungen nicht mehr machen würden: „An der Grenze in Spielfeld hat damals ein Taxifahrer Arabisch für die Polizei gedolmetscht“, nennt Springer ein Beispiel: „Wenn der etwas falsch übersetzt – das pickt für den betroffenen Asylwerber. Und zwar bis zum Höchstgericht.“

Der Tarif für Dolmetscher sei sogar mehrfach gesenkt worden; heute würden Dolmetscher im Asylwesen für die Übersetzung eines Protokolls von 30 bis 40 Seiten gedeckelt „höchstens 20 Euro“ bekommen, so Springer. Dafür bekomme man sicher keinen seriösen Dolmetscher. Nachdem die Polizei keine Gerichtsdolmetscher nehmen müsse, würde sie aus Not auf irgendwelche Personen zurückgreifen: „Die Polizisten in den Wachstuben sind ja auf unserer Seite. Aber sie haben keine Wahl, weil sie kein Geld haben.“

„Greifen auf Pfuscher zurück“

Nun hat sich ein Fall ereignet, der Wasser auf den Mühlen von Springer ist. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen eine viel beschäftigte Polizeidolmetscherin für die persischen Sprachen Dari und Farsi, die dem Vernehmen nach keine Dolmetschausbildung hat. Der Vorwurf: schwerer gewerbsmäßiger Betrug. Sie soll sich bei der Erstbefragung von afghanischen und iranischen Asylwerbern Gebühren erschlichen haben, indem sie fälschlicherweise vorgab, diese seien Analphabeten. Außerdem steht im Raum, dass sie Asylwerber beeinflusst haben könnte; wenn es derzeit auch keine konkreten Hinweise darauf gibt, dass sie Asylsuchende zu falschen Angaben angestiftet hat.

Brisant: Die Frau spielte (als eine von vier Dolmetschern) eine wichtige Rolle im viel beachteten Schlepperprozess in Wiener Neustadt. Dort fand der Prozess gegen Beschuldigte aus dem Umkreis der Votivkirchen-Besetzer statt – die Frau übersetzte polizeilich abgehörte Telefonate der Angeklagten. Wobei schon in diesem Verfahren Zweifel an der Korrektheit der Übersetzungen aufgekommen war.

Schützenhilfe für Springer kam zuletzt von den heimischen Strafverteidigern. Deren Sprecher, Richard Soyer, sprach wörtlich von einer Gefährdung der Wahrheitsfindung im Strafprozess. Die Strafverteidiger verlangen nun flächendeckende Videoaufzeichnung aller polizeilichen Vernehmungen, für die ein Dolmetscher nötig ist.
Das Justizministerium kennt das Problem: „Minister Wolfgang Brandstetter setzt sich für eine Gebührenerhöhung ein. Denn wir wollen das, wir wollen qualitätsvolle Dolmetscher“, wird in seinem Büro versichert. Eine bessere Bezahlung, also höhere Gebühren, seien aber eine Querschnittsmaterie. Man brauche eine Kooperation mit dem Finanzministerium und weiteren Ministerien: Das sei komplex, es würden aber Gespräche dazu laufen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2016)

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