Flüchtlings-Quartiere rechtswidrig?

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Minderjährige Asylwerber müssten besser versorgt werden. Ihre aktuelle Betreuungssituation sei in vielen Fällen problematisch, so ein Gutachten.

Wien. 15-, 16- oder 17-Jährige, die ohne ihre Eltern nach Österreich gekommen sind, die in Großquartieren für Asylwerber leben und, falls sie nicht mehr schulpflichtig sind, keine Ausbildung machen und auch sonst weitgehend sich selbst überlassen sind: Sie sind in Österreich keine Seltenheit. Und sie sind – da braucht man nur die Meldungen der jüngeren Vergangenheit studieren – immer wieder in Probleme verwickelt, von Schlägereien bis Kleinkriminalität.

Diese Unterbringung und (mangelnde) Versorgung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) kritisieren Hilfsorganisationen schon länger. Nun hält ein Rechtsgutachten von zwei Professoren der Uni Innsbruck (im Auftrag von SOS-Kinderdorf) fest, dass diese Unterbringung oft rechtswidrig sei: Kindern und Jugendlichen stehe altersgemäße Unterbringung und Betreuung durch die Kinder- und Jugendhilfe zu. Ziel müsse bestmögliche Förderung sein, die derzeitige Verwaltungspraxis widerspreche diesem rechtlichen Status, so die Professoren Karl Weber und Michael Ganner.

SOS-Kinderdorf: Tausende Betroffene

Davon seien Tausende Kinder und Jugendliche im Asylverfahren betroffen. Obwohl es dazu keine genauen Zahlen gibt, spricht SOS-Kinderdorf-Geschäftsführer Christian Moser davon, dass in Österreich geschätzt 3000 Minderjährige ohne geeignete Betreuung untergebracht seien. „Das ist eine untragbare Situation.“ Dabei geht es vor allem um Minderjährige, die über 14 Jahre alt sind. Diese Asylwerber hätten aufgrund ihrer unsicheren rechtlichen Situation keine Chance, sich zu integrieren: „Auf dem Papier übernimmt das Jugendamt die Obsorge, in der Realität bleiben asylwerbende Jugendliche oft weiterhin nur grundversorgt“, sagt Moser.

Jugendliche leben dann oft in Großquartieren, bei Kinder- und Jugendhilfe-WGs für österreichische Kinder liegt die Zahl (nachdem man aus Zuständen in Heimen gelernt hat) heute bei acht bis zehn Kindern und Jugendlichen. In größeren Quartieren sei individuelle Betreuung kaum möglich, daraus entstehen vielfältige Probleme: Immer wieder verschwinden etwa Jugendliche, die Behörden gehen dem kaum nach, vermuten, sie hätten sich abgesetzt.

Integration? Fehlanzeige

Auch medizinische oder psychologische Betreuung fehlt, ebenso oft die Möglichkeit, eine Schule oder einen geeigneten Deutschkurs zu besuchen. Wenn man an dieser Stelle spare, so Moser, seien das fehlende Investitionen in die Zukunft, die später teuer seien.

Betreuer von SOS-Kinderdorf berichten von Jugendlichen, die mit ähnlichen Voraussetzungen kommen, sich aber dann völlig unterschiedlich entwickeln: Bei guter Betreuung, etwa in einer WG, seien nach einem Jahr Spracherwerb und der Besuch einer höheren Schule möglich. In Großquartieren sprechen Jugendliche oft nach einem Jahr noch kein Deutsch, verbringen ihre Tage mit Gleichaltrigen mangels Alternativen auf den Straßen. Integration und Perspektive? Fehlanzeige. Dass Jugendliche nahezu sich selbst überlassen werden, sei rechtswidrig, sagt Autor Ganner. „Die Gesetzeslage ist eindeutig. Für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge hat die Kinder- und Jugendhilfe die Elternrolle zu übernehmen und für ihre angemessene Versorgung, Betreuung und Ausbildung Sorge zu tragen, nicht nur für die Unterbringung.“

Situation in Deutschland ist besser

Damit hätten auch nicht schulpflichtige Jugendliche einen Anspruch auf Ausbildung. Rechtlich sind UMF einheimischen Minderjährigen gleichgestellt. „In der Praxis scheint das oft nicht bekannt zu sein“, so Ganner. In Deutschland ist das anders, da ist die rechtliche Gleichstellung klar festgehalten. Die Autoren empfehlen auch in Österreich die explizite Aufnahme unbegleiteter Minderjähriger in Kinder- und Jugendhilfegesetze. (cim)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2016)

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