Mafiaprozess: Hauptzeuge in Gefahr

STRAFLANDESGERICHT WIEN: SICHERHEITSVORKEHRUNGEN BEI MAFIA-PROZESS
STRAFLANDESGERICHT WIEN: SICHERHEITSVORKEHRUNGEN BEI MAFIA-PROZESSAPA/HERBERT NEUBAUER
  • Drucken

Unter martialischer Bewachung sagte im Wiener Mafiaverfahren um Schutzgelderpressung der Hauptbelastungszeuge aus. Auf den Mann soll Kopfgeld ausgesetzt worden sein.

Wien. Das Gericht meinte es gut mit dem Zeugen: Er hätte seine Aussage in Abwesenheit der sieben Angeklagten machen können. Dafür wurde er unter strengster Bewachung in den Saal 203 des Straflandesgerichts Wien geführt. Dort kam es am Dienstag zur Überraschung. Der Zeuge, der Serbe N. (38), wollte in Anwesenheit der „Mitglieder der kriminellen Vereinigung“ (Zitat Anklage) aussagen. Dies machte ein Aufstocken der ohnehin schon zahlreich aufmarschierten Sicherheitskräfte notwendig.

Auch erfahrene Beobachter kamen bei Fortsetzung des großen Wiener Mafiaprozesses ins Staunen, als sich schließlich gezählte 22Uniformierte teils um den Zeugen gruppierten, teils im Saal Aufstellung nahmen. Die Verhandlung, die sich um Schutzgelderpressung und Drogengeschäfte dreht, schien den Charakter einer Truppenparade anzunehmen. Schwarz maskierte, mit Sturmgewehren bewaffnete Männer der Eliteeinheit Cobra, Kräfte des Justizwache-Einsatzkommandos, Beamte der Wiener Polizeieinheit Wega sowie etliche zivile Beamte des Bundeskriminalamts sorgten für Sicherheit.

Der Zeuge selbst trug eine beschusshemmende Weste. Und die Angeklagten, allen voran der bosnisch-stämmige Edin D. (38) – auf der Balkanmeile auf dem und um den Wiener Gürtel besser bekannt als Edo –, mussten auch während der Aussage des Zeugen N. Handfesseln tragen.

Vor dem Auftritt bedroht

Davor haben Drohungen die Runde gemacht. Im Gerichtssaal werde jemand versuchen, auf den Zeugen zu schießen, hat es geheißen. Für dessen Ausschaltung soll im Dunstkreis der Beschuldigten ein Kopfgeld ausgesetzt worden sein. Von 250.000Euro war die Rede. Eine entsprechende Drohung soll dem Zeugen, der derzeit eine dreijährige teilbedingte Haftstrafe verbüßt, von einem tschetschenischen Mithäftling übermittelt worden sein. Gegen diesen Tschetschenen läuft ein Ermittlungsverfahren. Ein weiterer Mithäftling will die Drohung gehört haben.

Der Zeuge N. gab nun – sozusagen Auge in Auge mit den Beschuldigten (sechs Männer und eine Frau) – bereitwillig Auskunft. Er habe ursprünglich als Sicherheitsmann in dem Ottakringer Lokal gearbeitet, das erpresst wurde. Einer der beiden Lokalinhaber hätte ihm über die nunmehrigen Beschuldigten gesagt: „Diese Leute halten ganz Ottakring in Händen.“ Und: „Diese Leute nehmen mir seit zwei Jahren Geld weg.“

Zuletzt soll sich die Schutzgeldsumme auf 1600 Euro pro Monat belaufen haben. Vor Verkauf des Lokals seien die Lokalinhaber zur Übergabe von 50.000 Euro gezwungen worden. Und auch das gab der Zeuge an: Letztlich habe die Gruppe um Edo bestimmt, dass er als Sicherheitsmann das Feld räumen müsse. Statt ihm seien Edos Leute eingesetzt worden.

Nach seiner Kündigung wechselte der Zeuge die Seiten und heuerte kurzerhand bei Edo an. Daher hatte er sich in Folge ebenfalls wegen Beteiligung an der Schutzgelderpressung zu verantworten. Dabei kooperierte er mit den Behörden, weshalb in seinem Fall eine rasche Verurteilung möglich war. Und er danach zum Kronzeugen wurde.

Der Kern der eigentlichen Vorwürfe gegen Edin D. und Co. wurde am Dienstag auch durch die Zeugeneinvernahme eines der beiden ehemaligen Lokalinhaber, Alen O., deutlich. Dieser gab an, dass er und der zweite Lokalinhaber außer den 50.000 Euro ungefähr weitere 20.000 Euro haben bezahlen müssen. „Zum Beispiel für Urlaube oder Autoreparaturen der Gruppierung.“ O. weiter: „Wir haben aus Angst bezahlt. Wenn du dauernd Waffen siehst, wirkt das auf einen als enormer Druck.“ Auch die Einvernahme von O. gestaltetet sich bizarr: Der Zeuge zog es vor, in Abwesenheit der Angeklagten befragt zu werden. Daraufhin verzichteten sechs Angeklagte darauf, in einem Nebenzimmer zu bleiben und von dort aus bei offener Türe zuzuhören. Der Hauptangeklagte, Edin D., hingegen wollte sehr wohl zuhören – konnte aber den Zeugen nicht sehen. Und wurde selbst nicht gesehen.

„Integration statt Schutzgeld“

Edin D. wird auch die Beteiligung am Suchtgifthandel zur Last gelegt. Verteidigt von Staranwalt Herbert Eichenseder gibt er an, er kenne die drei mitangeklagten Tschetschenen aus dem von ihm betriebenen Boxklub. Bei den Tschetschenen habe er sich „für Integration eingesetzt“, er habe „Gutscheine für Deutschkurse verteilt“. D. und Co. bekennen sich zu sämtlichen Vorwürfen nicht schuldig.

Die drei sichtlich bulligen Tschetschenen selbst weisen wiederum den Vorwurf zurück, als Schlägertrupp fungiert zu haben. Unterstützt werden Edin D.s Mitangeklagte von einer prominenten Anwälteriege, etwa bestehend aus Christian Werner, Alexander Philipp und Philipp Wolm. Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Bild vom Prozessauftakt im Oktober
Wien

Zeuge im Wiener Mafia-Prozess: "Ich hab Blablabla geredet"

Im Wiener Prozess um angebliche Schutzgelderpressungen ist der 45-jährige Hauptbelastungszeuge "umgefallen". Er habe aus Angst bei der Polizei gelogen.
Archivbild: Schon beim Prozessstart im Oktober waren die Sicherheitsvorkehrungen hoch
Wien

Mafia-Prozess: Zeuge sagt in schusssicherer Weste aus

Im Wiener Prozess gegen mutmaßliche Schutzgelderpresser ist der Hauptbelastungszeuge am Wort. Auf ihn soll es ein "Kopfgeld" geben.
Archivbild: Sicherheitsvorkehrungen beim vergangenen Prozesstag
Wien

Mafia-Prozess: Zeugen werden bedroht

Der Hauptbelastungszeuge im laufenden Prozess um angebliche Schutzgelderpressungen in Wien wurde im Gefängnis mehrmals eingeschüchtert. Auf einen weiteren Zeugen soll ebenfalls ein Kopfgeld ausgesetzt worden sein.
Schon bei Verhandlungsstart im Oktober war das Sicherheitsaufgebot enorm, mittlerweile sollen Zeugen bedroht worden sein.
Wien

Wiener Mafia-Prozess: „Wir sind die Stärksten der Stadt“

Die Balkanmeile am Wiener Gürtel steht im Mittelpunkt eines groß angelegten und streng bewachten Strafverfahrens. Dabei geht es um Schutzgeld, Gewalt und Drogen.
Wien

Wiener Mafia-Prozess: 150.000 Euro "Kopfgeld" auf Zeugen ausgesetzt

Die Sicherheitsvorkehrungen im Landesgericht wurden drastisch erhöht, mit unzähligen schwerbewaffneten Polizisten und Justizwachebeamten. Die Verhandlung ist bis 19. Dezember anberaumt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.