Judo-Zweifach-Olympiasieger Peter Seisenbacher blieb seiner – wegen Sexualstraftaten – anberaumten Verhandlung fern. Nun muss der 56-Jährige „ausgeforscht“ werden.
Wien/Baku. „Mir scheint, es fehlt wer.“ Richter Christoph Bauer vom Straflandesgericht Wien sorgte Montagfrüh mit diesem trockenen Statement für Heiterkeit bei Prozessbeobachtern. In der Tat: Der zweifache Judo-Olympiasieger Peter Seisenbacher sollte auf der Anklagebank Platz nehmen – kam aber nicht. Über seinen Verbleib herrschte Rätselraten. Sollte Seisenbacher sich nicht bald bei der Justiz melden, riskiert er sogar einen Haftbefehl.
Dem 56-Jährigen wird vorgeworfen, sich 1997 als Leiter eines Wiener Judoklubs einem neunjährigen Kind unzüchtig genähert zu haben. Als das Kind elf Jahre alt war, soll es zu geschlechtlichen Handlungen gekommen sein, die die Staatsanwaltschaft als schweren sexuellen Missbrauch von Unmündigen einstuft. Auch eine 13-Jährige soll der ehemalige Weltklassesportler sexuell missbraucht haben. Bisher gab Seisenbacher keinerlei Erklärung zu den massiven Vorwürfen ab, für ihn gilt die Unschuldsvermutung.
Wie es nun weitergeht, ist Sache des Gerichts, das sich nun laut Sprecherin „alle Schritte offen hält“. Sollte es in nächster Zeit keinerlei Rückmeldung vom Angeklagten bekommen, könnte die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl beantragen. Die Tatsache, dass bisher noch keine U-Haft verhängt wurde, sorgte am Montag in Justizkreisen für heftige Diskussionen.
Einerseits droht angesichts der Anklage eine bis zu zehnjährige Haftstrafe. Andererseits ist Seisenbacher derzeit Judo-Nationaltrainer in Baku, der Hauptstadt des Kaukasus-Staates Aserbaidschan, er hält sich also im fernen Ausland auf. Jedoch: Seisenbacher hatte früheren Ladungen Folge geleistet.
„Es gibt keinen Anhaltspunkt für Fluchtgefahr“, hatte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien, Nina Bussek, im Oktober erklärt. Nur weil eine Person beruflich im Ausland sei, könne noch nicht angenommen werden, dass diese sich einem Verfahren entziehen werde. Am Montag wollte Bussek dann nichts mehr sagen, sie verwies darauf, dass die Sache nun gerichtsanhängig sei. Übrigens: Zwischen Österreich und Aserbaidschan gibt es ein intaktes Auslieferungsabkommen.
Auch Anwalt ratlos
Im Gerichtssaal war eine mögliche Flucht noch kein Thema. Der Richter vertagte den medienträchtigen Prozess zwecks „Ausforschung des Aufenthalts“ auf unbestimmte Zeit. Ein Schöffensenat hätte über den Ex-Judoka entscheiden sollen. Zur Erklärung: Ein solches Gericht kann de lege nicht in Abwesenheit des Angeklagten verhandeln.
Auch Seisenbachers Grazer Anwalt Bernhard Lehofer zeigte sich ratlos. „Ich weiß nicht, warum er nicht gekommen ist“, sagte er dem Gericht. „Vielleicht hat er den Flieger versäumt.“ Lehofer musste aber einräumen, dass er Seisenbacher zuletzt „telefonisch nicht erreicht“ hatte. Der Letztkontakt sei schon „einige Tage her“.
Generell gilt: Sieht die Justiz, so wie hier, keinen Grund für eine U-Haft – und bleibt dann der Angeklagte der Verhandlung fern, muss eben ein neuer Termin angesetzt werden. In den meisten Fällen (etwa bei Erkrankung) weiß allerdings die Justiz im Vorhinein, ob ein Termin „wackelt“. Im Fall Seisenbacher aber waren alle über das Fernbleiben ziemlich überrascht.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19. Dezember 2016)