Die Primadonna der Pilze

Die Speisemorchel oder Rundmorchel taucht gern in der Umgebung von Eschen auf – zum Beispiel in den Donauauen.
Die Speisemorchel oder Rundmorchel taucht gern in der Umgebung von Eschen auf – zum Beispiel in den Donauauen. (c) Clemens Fabry
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Morcheln haben jetzt Saison. Es ist ein gutes Jahr für den empfindlichen, kostbaren Pilz, erklärt Mykologe Alexander Urban beim Sammeln in den Donauauen.

Vom Wetter lässt sich ein richtiger Schwammerlsucher nicht abhalten. Da kann es noch so schneien, stürmen und Temperaturen um den Gefrierpunkt haben – Morcheln haben jetzt Saison. Und da die Pilze gleich nach den Trüffeln als besondere und besonders kostbare Spezialität gelten, machen sich Liebhaber auch trotz des Wintereinbruchs dieser Tage auf die Suche. So auch Alexander Urban, Biologe an der Universität Wien und Trüffelzüchter, der der „Presse am Sonntag“ die Besonderheiten der Morchel bei einem Rundgang erklärt.

Seit gut einer Woche sprießen die delikaten Speisepilze vorzugsweise in Auenwäldern (zumindest die runde Morchel oder Speisemorchel). „Sie würden bis Anfang Mai stehen, aber so weit kommen sie nicht. Da werden sie vorher gesammelt“, sagt Urban auf dem Weg zu einer Sammelstelle in den Donauauen, die er – ganz Schwammerlsucher – hier natürlich nicht genau verraten will. Und wie bestellt, verschwindet zu Beginn dieses Rundgangs ein Sammler mit Korb im Gebüsch.


Eschensterben bedroht Morcheln

Es ist ein gutes Jahr für die Morchel, die hierzulande auf Märkten oder auch über Onlineshops um rund 100 Euro pro Kilogramm verkauft wird. „Die Morchel ist eine Primadonna. Ist es zu nass, ist das schlecht, zu trocken ist auch schlecht, zu heiß sowieso.“ Welche Plätze die Morchel besonders gern mag, lässt sich also schwer sagen. Sie sind sehr unterschiedlich. Ein paar Anhaltspunkte gibt es aber dennoch. Vor allem die Speisemorchel ist in Auengebieten zu finden. Sie mag kalkreiche Böden und auch die Nähe der Esche. Deshalb bereitet Urban das derzeit wütende Eschensterben besonders große Sorge. Da die Esche von einer aus Ostasien importierten Pilzart (dem Falschen Weißen Stängelbecherchen) befallen wird – die eine frühzeitige Entlaubung und Verkrümmung der Triebe zur Folge hat –, ist sie geschwächt und auch für andere Krankheiten empfindlicher. Vor etwa 15 Jahren ist dieser Pilzbefall erstmals aufgetreten.

„Derzeit werden Eschenwälder großflächig gerodet. Das ist auch wirtschaftlich verständlich, man will das Holz noch nutzen, bevor die Bäume wertlos sind“, sagt Urban. Auch die Sicherheit spielt dabei eine wichtige Rolle. Immerhin haftet der Grundeigentümer bei Unfällen, und so eine kranke Esche kann schnell umstürzen. Die Eschen in Asien, woher der Pilz kommt, haben sich bereits daran gewöhnt, er kann ihnen dort wenig antun. Urban hofft deshalb, dass man hier möglichst viele Eschen stehen lässt, damit sich die resistenteren Exemplare vermehren können. „Wenn Eschen verschwinden, verschwindet mit ihnen ein ganzer Lebensraum, nicht nur viele Morcheln“, sagt der Mykologe. Früher einmal waren übrigens die Ulmen ein wichtiger Begleitbaum der Morchel. „Im 20. Jahrhundert gab es einen starken Rückgang der Ulmen, ebenfalls verursacht durch eine eingeschleppte Pilzart.“


65 verschiedene Arten

Aber zurück zur Rund- oder Speisemorchel, die auch Morchella esculenta genannt wird. Sie ist hierzulande die mit Abstand häufigste Art der runden Morcheln, während die Morchella americana wenig überraschend in Nordamerika stark vertreten ist, hin und wieder aber auch bei uns zu finden ist. Spitzmorcheln sind hingegen selten in Auenwäldern zu finden, es sei denn, diese beherbergen die hierzulande wiederum seltenen Schwarzpappeln, erklärt der Pilzexperte.

Da es viele verschiedene Arten von Morcheln gibt – weltweit wurden 65 gezählt –, sind sie auch an unterschiedlichen Plätzen zu finden. So gibt es etwa eine Art, die im Gebirge, vorzugsweise in der Nähe von Fichten, vorkommt. Ein anderer Typ wiederum bevorzugt Dünenlandschaften. Während Urban all das erklärt, stoßen wir auf ein paar Reste von Stielen, an denen bereits Morcheln geerntet wurden. „Wir waren nicht die ersten, da wurde systematisch gesammelt“, sagt Urban. Sein Blick schweift über das Unterholz, abrupt hält er inne. „Aber nicht systematisch genug“, sagt er erfreut, bückt sich und schneidet ein hübsches Exemplar vorsichtig ab. Das Plätzchen ist nicht schlecht, die doch recht große Plastikschüssel, die der Profi-Sammler neben Fotoausrüstung und Handy mit GPS-Funktion immer mit dabei hat, ist schnell gefüllt. Das geschulte Auge des „Presse“-Fotografen hilft dabei. Die Morcheln, die wir an jenem Vormittag finden, haben sich vor allem unter dem Gestrüpp versteckt.

Es ist Zeit, den Pilzexperten nach ein paar Kochtipps zu fragen. Immerhin darf man Morcheln niemals roh essen, da sie hitzelabile Gifte enthalten. Auch zu kurzes Kochen kann sich als gefährlich entpuppen. Urban empfiehlt, sie 20 Minuten lang bei geringer bis mittlerer Hitze (mit Deckel) in reichlich Butter zu schmoren. „Die Aromen sind fettlöslich, deshalb ist Butter oder Rahm gut.“ Zuvor sollten sie natürlich gut geputzt, mit einer Bürste oder auch kurz mit kaltem Wasser abgespült werden (nicht ins Wasser legen). Urban isst sie gern pur, lediglich ein bisschen Gartenkerbel darf dazu.

Zu viel sollte man auch nicht davon verspeisen, immerhin kann in extrem seltenen Fällen das sogenannte Morchella-Syndrom auftreten, das zu Magen-Darm-Beschwerden, aber auch vorübergehenden neurologischen Symptomen wie Schwindel führen kann. „Die Ursachen dafür sind unbekannt, es wurde kein bestimmter Wirkstoff gefunden, der das auslöst“, sagt Urban. Generell sei die Morchel, so wie jeder Pilz, noch nicht umfassend erforscht. Seitdem die DNA-Analyse möglich ist, habe sich aber viel getan. Kaum hat Urban das ausgesprochen, bleibt er wieder stehen, bückt sich und schneidet ein weiteres Exemplar ab. Diesmal die hierzulande eher seltene und etwas kleinere amerikanische Morchel. Spätestens jetzt ist auch dem Laien klar, warum sich Pilzsammler nicht vom Wetter abhalten lassen.

Morchel

Hierzulande kommen vor allem die Speisemorchel (Rundmorchel) und die Spitzmorchel vor.

Mykologische Gesellschaft
Die Mykologische Gesellschaft der Uni Wien ist eine Fachgesellschaft, die allen Pilzinteressierten offensteht. Sie organisiert Vorträge, Exkursionen und Workshops. Infos unter www.univie.ac.at/oemykges

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2017)

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