Wenn Beamte zur Dienstwaffe greifen

Chronologie: Von den Schüssen in einem Kremser Supermarkt bis hin zu einem getöteten Lieferanten.

  • 28. April 2010: Ein 84-jähriger Mann in Laakirchen (Bezirk Gmunden) bedroht in den Nachtstunden einen Zeitungsausträger, der in seiner Hauseinfahrt stehenbleibt, mit einer Pistole. Der Autofahrer flüchtet zur Polizei, die den Senior aufsucht. Nachdem der Mann sich auch nach einem Warnschuss weigert, die Pistole fallen zu lassen, eröffnen die Streifenbeamten das Feuer. Ein tödlicher Schuss trifft den 84-Jährigen in die Brust.
  • 31. Dezember 2009: Nach einem Überfall auf ein Wettcafe bei Graz wird der Räuber während der Verfolgungsjagd von zwei Projektilen in den Bauch getroffen. Der 38-Jährige durchbricht mit seinem Pkw zuvor mehrere Polizeisperren, in Weitendorf stoppt ein Schuss in den Reifen seine Weiterfahrt. Der Mann steigt aus und eröffnet das Feuer - Zwei Polizisten geben daraufhin vier Schüsse ab. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass der 38-Jährige nur mit einer Gaspistole bewaffnet war. Der Verletzte stirbt im Spital an innerlichem Verbluten.
  • 22. November 2009: Ein Polizist erschießt in einer Notwehrsituation einen Lebensmüden in Wien. Der 31-Jährige hatte eine täuschend echt aussehende Gaspistole auf den Beamten gerichtet, dieser schießt und trifft den Mann zweimal. Für ihn kommt jede Hilfe zu spät. Motiv für die Suizidgedanken dürfte offenbar ein Beziehungsstreit gewesen sein.
  • 5. August 2009: Bei einem Einbruch in einen Merkur-Markt in Krems a.d. Donau wird ein 14-jähriger Jugendlicher von der Polizei erschossen, sein zum damaligen Zeitpunkt 16-jähriger Komplize schwer verletzt. Ein 43-jähriger Beamter wird wegen fahrlässiger Tötung zu acht Monaten bedingt verurteilt.
  • 8. August 2008: Ein Polizist schießt gegen 4.00 Uhr in Wetzelsdorf (Bezirk Korneuburg) auf einen flüchtigen Motorraddieb. Der 47-jährige Verdächtige wird tödlich getroffen. Der Beamte wird im Dezember 2009 vom Vorwurf der schweren Körperverletzung mit tödlichem Ausgang freigesprochen.
  • 19. April 2008: Auf einem Parkplatz der Wiener Außenring-Schnellstraße (S1) in Schwechat kommt bei einem Schusswechsel ein als falscher Polizist getarnter Rumäne unter strittigen Umständen durch das Projektil einer Dienstwaffe eines Beamten in Zivil ums Leben. Laut Polizei war der Flüchtende, der gemeinsam mit zwei Komplizen mehrere Überfälle begangen haben soll, auf die Beamten losgefahren. Die Anklagebehörde kommt nach einem Verfahren zu dem Schluss, dass die Schussabgabe nach dem Waffengebrauchsgesetz gedeckt war.
  • 11. Jänner 2004: Ein offenbar unter einer psychischen Störung leidender 35-jähriger Milchlieferant wird nach einer Amokfahrt in Wien von einem Polizisten erschossen. Das Verfahren gegen den Beamten wird von der Staatsanwaltschaft eingestellt, der Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) stellt im Nachhinein allerdings fest, dass der Schusswaffengebrauch rechtswidrig war: Dieser sei "weder Maß haltend, noch verhältnismäßig und daher unzulässig" gewesen.
  • 31. August 2002: Binali I. wird in der Wiener Innenstadt von einem Polizisten erschossen, nachdem er mit zwei Mineralwasserflaschen auf die Beamten losgeht. Der 28-Jährige, der schon länger unter schizophrenen Schüben und zeitweiligem Realitätsverlust litt, hatte zuvor versucht, ein Kindermodengeschäft zu überfallen und einer älteren Passantin die Handtasche zu entreißen. Zeugen beschrieben den Mann als "sehr verwirrt". Auf mehrere Polizisten machte er hingegen den Eindruck, "dass er immer aggressiver wird", wie eine Inspektorin in einer Verhandlung vor dem UVS darlegt. Die Polizisten werden rechtskräftig freigesprochen. Das Gericht befindet, sie hätten in Notwehr gehandelt.
  • 14. August 2000: Im Zuge der Fahndung nach einem flüchtigen Räuber gibt in Gars am Kamp im nördlichen Niederösterreich ein Gendarmeriebeamter Schüsse ab. Ein völlig unbeteiligter Motorradfahrer wird getroffen und stirbt. Der Beamte kommt später wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen vor Gericht. Das Ersturteil lautete auf sechs Monate bedingte Freiheitsstrafe plus eine Geldstrafe.
  • 20. Mai 2000: Der Ungar Imre B. (35) wird im Zuge einer Drogenrazzia in Wien-Penzing irrtümlich erschossen. Er parkt vor einem Lokal, das die Exekutive für einen Suchtgift-Umschlagplatz hält. Auf Vorhalt zweier Uniformierter, die Hände aufs Armaturenbrett zu legen - sie wollen das Fahrzeug und die beiden Insassen durchsuchen -, soll B. die Tür aufgerissen haben, als sie ein Inspektor mit seiner gezückten Waffe in der anderen Hand gerade öffnen wollte. Dabei löst sich der verhängnisvolle Schuss. Sechs Jahre später stellt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass dieser rechtswidrig war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2009)

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