Immer mehr tödliche Badeunfälle

Kinder müssen in Griffweite sein, „das ist mühsam, aber da gibt es keinen Spielraum für Kompromisse“, so KfV-Expertin Karner.
Kinder müssen in Griffweite sein, „das ist mühsam, aber da gibt es keinen Spielraum für Kompromisse“, so KfV-Expertin Karner. (c) APA/BARBARA GINDL
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Heuer sind bereits mehr Kinder ertrunken als in anderen Jahren im gesamten Sommer. Die Gefahr wird unterschätzt. Und die Nichtschwimmer-Quote steigt.

Wien. Zuletzt ist ein zehnjähriger Bub in Wien im Krankenhaus gestorben, er war am Sonntagnachmittag regungslos im Wasser treibend im Liesinger Bad vom Bademeister entdeckt worden. Kurz zuvor, vorigen Donnerstag, ist in der Innsbrucker Klinik ein Fünfjähriger verstorben. Er war eine Woche zuvor in Kitzbühel unter Wasser geraten. Diese Fälle sind zwei besonders tragische Beispiele einer Serie schwerer Badeunfälle dieses noch jungen Sommers.

1 Täuscht der Eindruck, oder kommt es heuer zu vielen Unfällen?

Tatsächlich ist es in den vergangenen Wochen zu einer Häufung gekommen, bestätigt auch das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV). Statistisch gesehen ertrinken jedes Jahr 30 bis 50 Menschen in Österreich, dazu kommen knapp 4000 Verletzte nach einem Badeunfall. Die Todesursachen-Statistik für 2016 liegt noch nicht vor, aber eine Auswertung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KfV) zeigt, dass schon 2015 ein Anstieg tödlicher Badeunfälle gegenüber 2014 verzeichnet wurde.

Zuvor sind die Zahlen, auch Dank intensiver Präventionsarbeit, lang zurückgegangen. 2007 sind etwa noch 75 Menschen ertrunken. Aber allein die beiden Kinder, die jüngst nach Badeunfällen verstorben sind, deuten bei Kindern heuer auf einen Anstieg hin. 2014 (aus diesem Jahr stammen die jüngsten Daten) sind zwei Kinder im Alter von null bis 14 Jahren ertrunken, 2013 war es ein Kind.

2 Warum ist trotz aller Warnungen bei Kindern die Gefahr so hoch?

Vorneweg: Die Zahl der ertrunkenen Kinder (im Alter von null bis 14) war schon viel höher, 2008 etwa auf dem letzten Höchststand von elf Fällen. Ertrinken ist bei Kleinkindern aber nach wie vor zweithäufigste Todesursache bei Unfällen. Besonders gefährdet sind Kinder im Alter von null bis fünf und dann wieder im Alter von acht bis etwa elf Jahren. Kleinkinder können auch im flachen Wasser ertrinken, da reichen ein paar Zentimeter im Planschbecken. Bis zum Alter von etwa drei Jahren können Kinder ihren Kopf nicht aus dem Wasser heben, dazu kommt eine Art „Totstellreflex“, sie bleiben völlig regungslos. Außerdem täuschen die alten Baywatch-Bilder: Ertrinkende schreien und fuchteln nicht, sie versinken lautlos wie ein Stein.

Daher gilt: „Kinder nur unter direkter Aufsicht ins Wasser lassen. Das heißt Griffweite“, sagt Johanna Karner, Sprecherin und Präventionsexpertin des KfV. 90 Prozent aller tödlichen Ertrinkungsunfälle von Kleinkindern passieren im Umkreis von zehn Metern der Aufsichtsperson. Schließlich genügen zwei Minuten, ein kurzes Telefonat, man dreht sich weg, und das Kind verliert unter Wasser sein Bewusstsein. Fünf Minuten können so zum Tod oder schweren Behinderungen führen. Bei Acht- bis Elfjährigen wird eher Überschätzung durch Erwachsene zur Gefahr: Diese Kinder (sie dürfen schon allein in die meisten Freibäder) können meist schwimmen, man beobachtet sie nicht mehr so genau, aber sie geraten mangels Erfahrung schnell in Situationen, die sie überfordern. Eine dritte gefährdete Gruppe sind Senioren, da spielen Herz-Kreislauf-Probleme eine Rolle.

3 Warum ertrinken besonders oft jugendliche Asylwerber?

In den letzten Jahren ist mit jungen Asylwerbern eine neue Risikogruppe dazugekommen, davon zeugen die Unfallberichte der letzten Sommer. Auch heuer ist schon ein 28-Jähriger Afghane im Badesee im steirischen Kraubath ertrunken. Ein wachsendes Problem: Wenn junge Erwachsene ertrinken, sind es laut Medizinern vor allem Nichtschwimmer mit Migrationshintergrund. Schließlich hat Schwimmen zu lernen in vielen Herkunftsländern keine Tradition. Vor allem junge Afghanen wurden so häufig zu Unfallopfern – weil sie Gefahren unterschätzen, wie Gleichaltrige ins Wasser springen und plötzlich untergehen.

Zwar wurden von einigen Organisationen Schwimmkurse für Asylwerber initiiert, aber die Nichtschwimmer-Quote steigt generell, wie auch die Österreichische Wasserrettung warnt. Diese schätzt die Nichtschwimmer-Quote bei Erwachsenen auf etwa 30 Prozent. Der Anstieg hängt auch mit Zuwanderung zusammen (muslimische Frauen etwa lernen häufig nicht Schwimmen), aber nicht nur: Auch, dass am Land Hallenbäder zusperren, so weniger schulischer Schwimmunterricht stattfindet, sei ein Problem.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2017)

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