Nach Sturmunglück im Innviertel: "Da sind die Uhren stehen geblieben"

APA/MANFRED FESL
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"Es ist ein schwarzer Tag für uns alle", versuchte der Diakon während der Messe die Stimmung in Worte zu fassen.

Bis auf den letzten Platz gefüllt war die Kirche in St. Johann am Walde (oö. Bezirk Braunau) am Sonntagvormittag nach dem Sturmunglück mit zwei Toten und Verletzten in der Nacht auf Samstag. Diakon Anton Baumkirchner sagte im Gottesdienst: "Es war gegen halb elf, da sind die Uhren im Ort stehen geblieben". Die Sterbeglocke läutete in einer Gedenkminute.

Schon vor der Messe war klar, dass an diesem Sonntag für die rund 2.000 Seelen-Gemeinde nichts mehr so war, wie zuvor. An einem wieder strahlenden Sonntagmorgen strömten viele dunkelgekleidete Menschen in das Gotteshaus. Nicht wenige mit einem weißen Taschentuch in der Hand. Die in kleinen Gruppen kommenden Messbesucher gingen still vor sich hin. Nur Gesprächsfetzen im breiten innviertlerischen Dialekt wie "Des war so enterisch" oder wie "Voi arg, der Horror" waren zu hören - die wenigen Worte, die ein sprachlos machendes Unglück wie jene Sturmkatastrophe wohl zulassen.

"Es ist ein schwarzer Tag für uns alle", versuchte der Diakon während der Messe die Stimmung in Worte zu fassen. Eine Naturgewalt wie der Orkan habe den Ort heimgesucht. "Man rückt zusammen in diesen Tagen", sagte Baumkirchner. Während seiner Ansprache war immer wieder leichtes Schluchzen im gotischen Kirchenraum zu hören. Man denke auch an jene, die noch im Krankenhaus liegen. In dieser schwierigen Situation gelte es, die Flinte nicht ins Korn zu werfen. "Wenn man nichts mehr tun kann, beginnt man instinktiv zu beten." Dann bat er die Messbesucher, für die Verstorbenen ein Vaterunser zu sprechen. Die Stille der Gedenkminute für die Getöteten wurde nur durch die metallenen Klänge der Totenglocke durchschnitten. Währenddessen entzündete der Diakon die Osterkerze. "Die Kerze der Auferstehung", so Baumkirchner.

Pflichttermin der ländlichen Society

"Es ist so furchtbar, alle freuten sich immer auf das Frauscherecker Feuerwehrfest", meinte eine ältere Dame, als nach dem Gottesdienst zu ihrem Auto geht. Alle jüngeren Leute im Ort hatten sich den Tag im Kalender immer rot angestrichen. Die Vergangenheitsform ihrer Erklärungen lässt erahnen: Nicht nur ein Fest, ein ganzer Ort hat mit dem Sturm-Unglück seine Unschuld verloren. In einer urigen Innviertler Einschicht ohne Unterhaltungsprogramm urbaner Maßstäbe waren Festivals wie diese Pflichttermin der ländlichen Society. Nun muss jeder mit den Bildern des Schreckens dieses Festes klar kommen, das nächstes Jahr sein 40-jähriges Bestandsjubiläum feiern würde.

Es sind Bilder wie diese, die so gar nicht auf die Worte "Feuerwehr" und "Fest" passen wollen: "Ich war am Klo und wie ich aus der Kabine komme, ist das Zelt weg", erzählt die 20-jährige Sabine. "Ich hab einen rausgezogen, der voller Blut war", berichtet ein 42-jähriger Augenzeuge, der als Feuerwehrmann im Einsatz war. Völlig weiß war der junge Bursch im Gesicht. Auf die Frage des Ersthelfers, wo es weh tue, fragte dieser nur nach seinem Handy. "Es war so unwirklich, wie in einem Horrorfilm." Szenen des Schreckens erlebte auch ein anderer Kamerad: Während er sich um die Evakuierung kümmerte, kam sein Schwiegersohn angerannt: "Deine Tochter ist abgängig". Noch während er dies erzählt, rinnen ihm die Tränen übers Gesicht. "Aber ich hab meine Aufgaben ja abarbeiten müssen." Erst später - viel später - lief man sich in dem Chaos über den Weg. Sie erlitt nur leichte Blessuren. In der Nähe der Frau, wie sich später herausstellte, war eine 19-Jährige von einem Gerüstteil erschlagen worden. Über den schwer verletzten Sohn seines Nachbarn habe er gerade erfahren, dass dieser möglicherweise eine Querschnittslähmung erlitten hat.

Mit Tränen in den Augen erzählt auch Anton, ein 65-jähriger Landwirt, dass er in dem Horror unfassbares Glück erleben durfte: Sieben Kinder und Enkelkinder hatte er selbst mit dem Auto zum Fest chauffiert. "Sie sind alle heil rausgekommen." Seine Frau zündete bereits eine Kerze als Dank in der Kirche an. "Vielleicht bau ich ein Marterl."

Verheerender Sturm "nicht vorhersehbar"

Das Unglück brach Freitag gegen 22.30 über die rund 2.000 Einwohner zählende Gemeinde St. Johann herein, die im Innviertel auch "Saiga Hans" genannt wird. Sturmböen mit rund 120 km/h fegten das Zelt für das zum 39. Mal durchgeführte Fest der Feuerwehr Frauschereck um. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich rund 650 Menschen darin. Zwei von ihnen wurden getötet. Rund 120 Personen wurden verletzt, davon 20 schwer. Sie wurden von den Zeltteilen getroffen, erlitten aber auch Verbrennungen durch das heiße Fett aus umgeworfenen Fritteusen.

Der Sturm sei "unvorhersehbar" gewesen, betonten Vertreter von Einsatzorganisationen in einer Pressekonferenz Sonntagmittag. Man habe die Wetterlage ständig über Internet beobachtet, so der Kommandant der Feuerwehr, die das Fest ausgerichtet hatte, Erich Feichtenschlager. Rückendeckung kam von Landesfeuerwehrkommandant Wolfgang Kronsteiner: Man sei "plötzlich in einem Katastrophenfilm gelandet". Er wolle den bereits angelaufenen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht vorgreifen. Aber das Zelt sei TÜV-geprüft und für solche Veranstaltungen ausgelegt gewesen. Er sicherte "hundertprozentige Unterstützung durch das Landesfeuerwehrkommando" zu. Mit dem Ablauf des Rettungseinsatzes nach dem Unglück zeigten sich alle zufrieden.

(APA)

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