Wirbel um salafistische Schriften für Häftlinge

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Weil in der Justizanstalt Korneuburg ein problematisches Buch aufgetaucht ist, das von der Islamischen Glaubensgemeinschaft genehmigt wurde, entzog das Justizministerium der Muslimenvertretung die Kontrollzuständigkeit.

Wien. Ein radikal-salafistisches Buch taucht in der Bibliothek der Justizanstalt Korneuburg auf. Es ist versehen mit dem Genehmigungsstempel der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ). Ein einmaliges Versehen oder ein Fall, der einen Fehler im System aufzeigt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

1 Was ist in der Justizanstalt Korneuburg überhaupt passiert?

In der – vor Kurzem neu gebauten – Haftanstalt wurde am Montag ein problematisches Buch entdeckt – dessen Autor, Abu l-A la Maududi, gilt als wichtiger Autor des fundamentalistischen Islam, auf den sich auch Salafisten berufen. Ein tschetschenischer Insasse, der sich schon zwei Mal dem IS anschließen wollte, meldete das Buch.

2 Wie konnte es dazu kommen, dass dieses Buch für Häftlinge verfügbar war?

Woher das Buch kam, ist unklar. Die Justiz führt keine Aufzeichnungen, wie ein Buch in ihre Anstalten gelangt. Es könnte etwa von einem Besucher mitgebracht worden sein. In der Regel bekommen Bücher nach Kontrolle durch die Anstaltsleitung einen Stempel der Justizanstalt. So soll verhindert werden, dass – abgesehen von religiösen Inhalten – radikale Inhalte oder sonstige Dinge, die Gefangene tunlichst nicht lesen sollten, in den Bibliotheken landen. Bei Büchern aus dem islamischen Kontext prüfte die IGGiÖ die Werke – dieses Buch wurde freigegeben. Ein Versehen, wie Ramazan Demir, Leiter der Gefängnisseelsorge, eingesteht. Der türkischstämmige Seelsorger in Korneuburg habe die in kyrillischer Schrift verfasste Ausgabe fälschlicherweise für eine tschetschenische Koranübersetzung gehalten.

3 Was geschah, nachdem der Fall mit dem Buch bekannt wurde?

Laut dem Sprecher von Justizminister Wolfgang Brandstetter, Jim Lefebre, hat Gefängnisseelsorger Demir versucht, weitere 30 Bücher aus dem Korneuburger Gefängnis mitzunehmen. Diese Bücher seien aber nicht ausgefolgt, sondern „sichergestellt“ worden. Auch in der Anstalt Wien-Josefstadt soll Demir laut Justizressort versucht haben, islamische Bücher zu entfernen. Demir bestreitet das. Er habe nach Bekanntwerden des Falls überprüfen wollen, ob noch weitere problematische Bücher in der Gefängnisbibliothek zu finden seien – die habe er nicht entdeckt. Dafür aber eine Reihe veralteter Bücher, die er im Rahmen von Neuanschaffungen mithilfe einer neuen Bücherliste aktualisieren wollte. In der Justizanstalt Josefstadt, wie vom Ministeriumssprecher angegeben, sei er hingegen gar nicht gewesen.

4 Welche Konsequenzen zieht das für den Strafvollzug verantwortliche Justizressort?

Der IGGiÖ wurde die Kontrollzuständigkeit in Bezug auf Bücher über den Islam entzogen. Per Erlass, der bereits in Kraft getreten ist, ist nun der Verein Derad zuständig. Dieser Verein steht in einem Vertragsverhältnis zum Justizressort. Hauptaufgabe des Derad-Teams ist es, mit Häftlingen Gespräche zu führen, um eine mögliche Radikalisierung zu verhindern – meist mit Häftlingen, die wegen eines Terrorismusdelikts, etwa Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, inhaftiert sind. Bei den Gesprächen soll auch Wissen über den Islam vermittelt werden. Letzteres haben sich auch islamische Seelsorger zur Aufgabe gemacht. Insofern besteht (auch wenn dies niemand bestätigen will) zwischen Derad und der IGGiÖ ein gewisses Konkurrenzverhältnis.

5 Was sagt Justizminister und Vizekanzler Wolfgang Brandstetter zu dem Fall?

In einem der „Presse“ übermittelten Statement meint Brandstetter: „Die Tatsache, dass die IGGiÖ schlagartig nach Bekanntwerden der Causa 30 weitere Bücher aus unserer Bibliothek entfernt hat, lässt befürchten, dass sich weitere problematische Lektüren in unserem Bestand befinden. Wir müssen alle Zweifel aus der Welt räumen und setzen jetzt auf volle Aufklärung.“ Und: „Ein solcher Fund konterkariert all unsere Bemühungen im Kampf gegen Radikalisierung in Haft.“ Brandstetter hat IGGiÖ-Präsident Ibrahim Olgun zu einem Gespräch eingeladen. Die islamische Seelsorge an sich soll unangetastet bleiben: „Sie erfüllt eine wichtige Funktion in persönlichen Glaubensfragen.“

6 Wie reagiert man in der Glaubensgemeinschaft auf den Entzug der Kontrolle?

Der Minister stelle damit die „jahrelange qualitätsvolle Deradikalisierungsarbeit der islamischen Gefängnisseelsorge infrage“, hieß es am Freitag. Der IGGiÖ sei es ein großes Anliegen, keine extremistischen Bücher in den Gefängnissen zu haben. Deshalb habe man schon 2015 angeregt, die Bibliotheken nach bedenklicher Literatur zu durchforsten. In Kooperation mit der Uni Wien sei zudem eine Liste geeigneter Bücher erstellt, problematische Literatur sei entfernt worden. „Leider wurde offensichtlich dabei das genannte Buch übersehen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2017)

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