Suizid eines Flüchtlingsbuben: Elfjähriger war "gut integriert"

Laut dem Landesschulrat war der Bub, der sich in Baden das Leben genommen hat, "nicht verhaltensauffällig". Allerdings gab es bezüglich seiner Familie schon im April 2016 eine erste Gefährdungsmeldung.

In der Badener Schule des elfjährigen afghanischen Flüchtlingsbuben, der sich vor eineinhalb Wochen das Leben genommen hat, habe es keine Verhaltensauffälligkeiten gegeben, sagte ein Sprecher des Landesschulrates für Niederösterreich am Donnerstag. Laut Polizei stand der Bub im Verdacht, am 11. November mit einem Siebenjährigen einen Ladendiebstahl verübt zu haben. Einen Tag später ging die Suizidmeldung ein.

"Das Kind war in der Schule nicht verhaltensauffällig und war gut integriert", sagte ein Sprecher des Landesschulrates. Und auf die Frage, ob der Bub regelmäßig die Schule besucht habe: "Selbstverständlich." Der Elfjährige wurde verdächtigt, am 11. November gemeinsam mit einem anderen Asylwerber im Alter von sieben Jahren einen Ladendiebstahl in einem Spielwarengeschäft verübt zu haben, sagte Sebastian Stockbauer von der Stadtpolizei Baden. Das Diebesgut - zwei Täschchen - habe geringen Wert gehabt, "es ging um ein paar Euro", hieß es.

Der Jüngere sei von einer Mitarbeiterin des Geschäfts mit dem Beutel ertappt worden, der Ältere mit dem Täschchen von der Polizei im Quartier der Diakonie angetroffen worden. Der Elfjährige sei aufgebracht gewesen, so Stockbauer. In einem Gespräch, bei dem auch ein Betreuer der Diakonie und ein Verwandter des Kindes dabei gewesen seien, hätten die Polizisten beruhigend auf den Buben eingeredet. "Ihm wurde mitgeteilt, dass er sich beruhigen soll, dass es nicht so schlimm sei und dass ihm nichts passiert", erklärte Stockbauer. Die beiden Buben seien zuvor nicht polizeilich auffällig gewesen.

Erste Gefährdungsmeldung im April 2016

Die Hintergründe des Falles werden inzwischen immer klarer: Nach Informationen der Austria Presseagentur hat es bereits im April 2016 die erste Gefährdungsmeldung bezüglich der Familie gegeben, bei der ein 23-jähriger Mann die Obsorge für seine sechs minderjährigen Geschwister hatte.

Die wichtigsten Eckpunkte:

  • 27. April 2016: Es gibt die erste Gefährdungsmeldung, weil ein Neunjähriger mit Down-Syndrom mehrfach von der Polizei aufgegriffen und zur Unterkunft der Geschwister gebracht wird. Er ist unbeaufsichtigt herumgestreift. Auch andere Auffälligkeiten werden gemeldet. Bei dem Kind handelt es sich um den jüngeren Bruder des Buben, der eineinhalb Jahre später Selbstmord begeht.

  • August 2016: Die Bezirkshauptmannschaft organisiert eine Erziehungsberaterin, welche die Geschwister bis Mai 2017 betreut. Für das Kind mit Down-Syndrom wird außerdem ein Hortplatz zur Verfügung gestellt.

  • 23. September 2016: Der behinderte Bub wird nicht von der Schule abgeholt. Seine Lehrerin bringt ihn nach Hause.

  • 29. September 2016: Der damalige Flüchtlingskoordinator im Auftrag der Bundesregierung, Christian Konrad, richtet ein Schreiben an die Bezirkshauptmannschaft Baden, in dem er anregt, die Obsorge für den Neunjährigen zu übernehmen, weil dessen 23-jähriger Bruder mit dieser Aufgabe überfordert sei.

  • 22. Dezember 2016: Die Diakonie, welche die Geschwister betreut, regt ebenfalls an, dass wegen Gefährdung des Kindeswohls die Obsorge übertragen wird.
  • 27. April 2017: Der Neunjährige wird erneut nicht von der Schule abholt. Derartiges kommt offenbar immer wieder vor.
  • 19. Juni 2017: Der Bub mit Down-Syndrom wird an dem Wochenende zweimal von der Polizei nach Hause gebracht. Er war mit seinem Roller allein in Baden unterwegs.
  • 16. August 2017: Die Bezirkshauptmannschaft als Kinder- und Jugendhilfeträger äußert sich zu den Anregungen. Sie sieht bei dem Neunjährigen mit dem Down-Syndrom zwar eine latente Gefährdungslage, die aber durch ein ambulantes Angebot nicht vermieden oder verhindert werden könne. Deshalb gebe es keine Gefährdungslage, die eine Obsorgeübertragung rechtfertigen würde. Bezüglich der anderen Geschwister geht die Behörde davon aus, dass sich die Situation nach den Sommerferien stabilisiert.
  • 3. Oktober 2017: Die Lehrerin des Neunjährigen ruft in der Unterkunft an, dass der behinderte Bub nur selten rechtzeitig vom Hort abgeholt werde.
  • 18. Oktober 2017. Die Polizei bringt den Neunjährigen in die Unterkunft zurück. Er war allein in Baden unterwegs und hat bei einer Frau geläutet, welche die Polizei anruft.
  • 12. November 2017: Bei der Polizei geht eine Meldung ein, dass der elfjährige Bruder des Neunjährigen und des 23 Jahre alten Obsorgeberechtigten Suizid verübt hat. Tags darauf erliegt er seinen Verletzungen im Krankenhaus. Er soll unter anderem Botengänge für seine Geschwister übernommen haben und am Tag vor seinem Tod bei einem Ladendiebstahl erwischt worden sein.

Die Obsorge für seine Geschwister hat laut Informationen der Austria Presseagentur nach wie vor der 23-Jährige inne. Die Familie wurde aus der Unterkunft in Baden vorläufig verlegt.

Hilfe für Suizidgefährdete

Suizidgefährdete und Angehörige finden seit heuer ein neues Hilfsangebot im Internet. Das Gesundheitsministerium hat im Frühjahr das Österreichische Suizidpräventionsportal online gestellt. Zu finden ist es unter www.suizid-praevention.gv.at.

(APA/Red.)

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