Obdachlosen geschlagen: Polizist "sind die Nerven gerissen"

Archivbild: Gerichtssaal im Wiener Straflandesgericht
Archivbild: Gerichtssaal im Wiener StraflandesgerichtAPA/ROLAND SCHLAGER
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Ein 55-jähriger Polizist gesteht in Wien vor Gericht, einen Obdachlosen mehrmals geohrfeigt zu haben. Der Mann habe ihn "untergriffig provoziert".

Am Wiener Landesgericht ist am Montag der Prozess um einen mutmaßlichen Polizeiübergriff in einer Betreuungseinrichtung für Obdachlose verhandelt worden. Ein 55-jähriger Polizist gab zu, im vergangenen Sommer in Penzing einem Obdachlosen vier Ohrfeigen versetzt zu haben, nachdem dieser Beleidigungen gegen die Mutter des Beamten ausgestoßen hatte. Das Verfahren wegen Körperverletzung wurde vertagt.

Zwei junge Kollegen des Polizisten mussten sich als Mitangeklagte sogar wegen Amtsmissbrauchs verantworten. Ihnen legte die Staatsanwältin zur Last, nicht eingeschritten zu sein, als der Dienstälteste zuschlug. Der Schöffensenat billigte den beiden - einer war im Tatzeitraum noch Polizeischüler - einen "geringen Schuldgehalt" zu. Sie entgingen einer Vorstrafe, die Sache wurde diversionell erledigt. Dem 26-Jährigen wurde die Zahlung von 1.500 Euro auferlegt. Der 36-Jährige muss 1.000 Euro berappen. Sobald die Beträge beglichen sind, wird die gegen sie gerichtete Anzeige zurückgelegt.

Weiter nicht vorbestraft

Die beiden Beamten gelten damit weiter als nicht vorbestraft. Ob sie weiter Polizeidienst versehen dürfen, muss intern in ihren jeweiligen Disziplinarverfahren geklärt werden. Die Diversion ist allerdings noch nicht rechtskräftig, die Staatsanwältin gab dazu vorerst keine Erklärung ab.

Der Hauptangeklagte war zu den Ohrfeigen geständig. Der Obdachlose hätte ihn "untergriffig provoziert", sagte der Beamte. Ihm wären "die Nerven gerissen." Der Beamte ist seit 34 Jahren bei der Polizei tätig und hatte sich bis zum 2. Juli 2017 keinerlei dienstliche Verfehlungen zuschulden kommen lassen. Gemeinsam mit seinen jungen Kollegen wurde er in ein Wohnheim für Obdachlose, Haftentlassene und Süchtige gerufen, wo die Sozialarbeiter mit einem Obdachlosen überfordert waren. Der 56-Jährige war mit einem Hausverbot belegt, wollte das Heim, das er in Begleitung eines jüngeren Kumpanen in alkoholisiertem Zustand unerwünschterweise betreten hatte, aber nicht verlassen. Als ihn eine Betreuerin mit Nachdruck zum Gehen aufforderte, bedrohte er diese ("Wennst nicht gleich die Gosch'n haltest, zerreiß ich dich") und trat gegen eine Türe. Die Frau verständigte darauf die Polizei.

Die Beamten versuchten den renitenten Mann zunächst im Guten aus dem Heim zu bringen. Dieser beschimpfte sie von Beginn an aufs Derbste. Als ihn der 55 Jahre alte Polizist gemeinsam mit einem 26 Jahre alten Kollegen, der erst vier Monate zuvor zum Inspektor ernannt worden war, in die Höhe heben wollte, ließ sich der Obdachlose fallen. Weitere Kraftausdrücke folgten. Schließlich beleidigte er die Mutter des älteren Polizisten extrem derb, worauf diesem die Sicherungen durchbrannten.

Gestrandeter Akademiker

Der Polizist versetzte dem Obdachlosen - einem gestrandeten Akademiker - mit der flachen Hand eine kräftige Ohrfeige. Nach einer kurzen Pause ließ er drei weitere folgen. "Wieso passiert Ihnen das nach 33 Dienstjahren?", fragte Richter Stefan Romstorfer den Angeklagten. "Meine Emotionen sind hochgekocht", erklärte dieser. Ihm wären die Nerven durchgegangen, "weil er sich abfällig über meine Mutter geäußert hat".

Der seit dem Vorfall vom Dienst suspendierte Polizist verwies auf die Lebensgeschichte seiner Mutter. Diese hätte als einfache Briefträgerin vom Land allen ihren drei Kindern eine ordentliche Ausbildung ermöglicht und sich die damit verbundenen Kosten "vom Mund abgespart". Mittlerweile lebe sie mit über 83 Jahren in einem Pflegeheim: "Meine Mutter ist in meinen Augen die beste Mutter der Welt." Die gegen sie gerichtete Verunglimpfung habe er einfach nicht mehr hinnehmen können: "Ich konnte nicht an mich halten. Es ist mir ganz einfach passiert. Ich war sieben Jahre als Kontaktbeamter für Rapid-Fans zuständig. So etwas Untergriffiges ist mir dort nie passiert."

Da die Ohrfeigen in einem videoüberwachten Raum fielen, wurden die Szenen aufgezeichnet. Die Sozialarbeiter, die die Polizei gerufen hatten, speicherten die Aufnahme ab und leiteten diese an die Hausleitung weiter, die das Band der Polizei übermittelte.

(APA)

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