Mythos der Entmachtung

Barbara Serloth über die Selbstschwächung der Politik.

Gleich eingangs stellt Barbara Serloth die Frage, „warum es zu einer Entmachtung der nationalstaatlichen Politik gekommen ist“. Dass es dafür objektive Gründe geben könnte, weist die Leiterin der politischen Dokumentation der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion zurück. Serloth spricht vielmehr von einer „Entmachtung und Entpolitisierung durch die politische Elite“: „Provokant formuliert würde es bedeuten, dass sich ein Teil der institutionellen PolitikakteurInnen selbst entmachtet, um die eigenen Positionen, Einflusssphären und Möglichkeiten als PolitikakteurInnen, aber auch als private Personen abzusichern beziehungsweise zu verbessern.“

Zuletzt gerät diese These dann noch auf eine verschwörungstheoretische Ebene: „Die nationalstaatliche Demokratie und Politik als entmachtet anzusehen beziehungsweise darzustellen, kann als einer innerhalb der umfassenden und allgegenwärtigen Mythen der Globalisierung und Entgrenzung angesehen werden. Die Akzeptanz dieser Mythen basiert unter anderem auf dem Interessenzusammenspiel der PolitikakteurInnen der verschiedenen Ebenen und VertreterInnen der para-institutionellen Gruppierungen. Sowohl institutionelle, als auch para-institutionelle PolitikakteurInnen und EntscheidungsträgerInnen benutzen den Entmachtungsmythos für ihre Interessen. Zumeist sind diese karriereorientiert zu definieren.“ Warum sich gerade die Karrieren aus der Entmachtung ihrer Einrichtungen speisen, bleibt ein Rätsel.

Politik erscheint so als eine unbestimmbare Voraussetzung des Daseins. Sie wird beschrieben als sich selbst setzende Struktur, als „Politarchitektur“, die schon könnte, wenn sie wollte, was sie sollte. Der Ohnmacht der Politik begegnet Serloth mit einem Postulat der Potenz, das suggeriert, dass die Schwäche aus der Selbstschwächung rührt, die jederzeit auch wieder durch eine Selbststärkung abgelöst werden könnte. Politik gehört in diesem Weltbild der Politik selbst.

Für Repolitisierung der Politik

Die Sache scheint klar zu sein: Politisierung tritt auf als positive Kategorie, Entpolitisierung als abwertender Begriff. Und so endet der Band in der altbekannten Beschwörungsformel von der „Rückkehr des Politischen in die Politik“.

Die Stärke des Buches liegt in der Darstellung einer Mikrophysik der (österreichischen) Politik, das heißt in deren Mechanismen und Binnenverhältnissen, Details und Verlaufsformen. Wir erfahren sowohl einiges über die Tücken des Amtsgeheimnisses als auch über die Ausweitung informalisierter Arbeitsabläufe. Es ist aber ein Unsinn zu fordern, dass „die informellen Seiten des Willensbildungs- und Normsetzungsprozesses weitgehend transparent geführt werden, institutionell verankert und einer Kontrolle unterzogen.“ Das Informelle ist per definitionem gegen Transparenz und Institution gerichtet. Auch der Aspekt, dass gerade die Informalisierung die Effizienz steigert, indem sie die Tendenz zur Bürokratisierung unterläuft, wäre erwähnenswert gewesen.

Etwas mehr Lektorat hätte Stilblüten, Rechtschreibfehler, unfertige Sätze oder gar falsche Zuordnungen vermeiden helfen können. Pröll heißt einmal Erich statt Josef, dafür soll er Innen- statt Landwirtschaftsminister gewesen sein. Ärgerlich, wie Verlage hier mittels Sparstift die Autoren in Peinlichkeiten laufen lassen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2010)

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