Heilpädagogik: Fixierstuhl in der Sonderschule

(c) Clemens Fabry
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Freiwillig fixiert? Ein Vater kritisiert „Pädagogikverständnis“ und mangelnde Förderung für seinen Sohn und verlangt den Wechsel in eine Integrationsklasse.

LINZ. Karl A. will eine andere Schule für seinen Sohn: nicht erst, seitdem er Zeuge wurde, wie der Neunjährige auf einem Stuhl fixiert worden sei, was „nicht die Art von Pädagogik ist, die ich in egal welcher Art von Schule erwarte“.

P., seit 2007 in der Obsorge seines Vaters, besucht das Integrative Schulzentrum, Dr.-Schärf-Schule, in Wels. Direktorin Karoline Reischl reagiert ungehalten auf die Fixierstuhlvorwürfe: In der Schule sei ein sogenannter Tripp Trapp verwendet worden, erklärt sie der „Presse“. Laut der Homepage der Herstellerfirma Wehrfritz, die auch einen passenden Sicherheitsbügel aus Formsperrholz und Lederriemen anbietet, ist der Tripp Trapp „ein Hochstuhl, der mitwächst [...], auch für Kinder, die dem Babyalter entwachsen sind, aber noch nicht auf normalen Stühlen sitzen können“.

Wie die Direktorin bestätigt auch Barbara Pitzer, die zuständige Bezirksschulrätin für Wels, den Einsatz eines Tripp Trapp und hält ihn für geeignet, um Kinder mit „besonderen Bedürfnissen“ zu besänftigen: „Das ist ein therapeutisches Gerät, damit sich körperlich aggressive Kinder beruhigen können. Sie können sich selbst hineinsetzen und selbst auch wieder aufstehen.“

A. allerdings bezweifelt, dass sich sein Sohn freiwillig fixiert hat, und auch, dass der bald Zehnjährige, er ist 1,35 Meter groß und 35 Kilo schwer, in einen echten Tripp Trapp passt: „Es sah eher nach Tischlerarbeit mit einem Bügel zum Fixieren der Arme aus.“ Dokumentieren könne er das Gerät nicht mehr: „Es wurde aus der Klasse entfernt.“

Nach Auskunft der Wehrfritz-Bestellhotline in Österreich jedenfalls ist der Tripp Trapp nur bis zum Kindergartenalter einsetzbar und für Neun- bis Zehnjährige nicht geeignet. Eine therapeutische Variante des Stuhles für ältere Kinder werde seit einigen Jahren schon nicht mehr verkauft, diese hieß außerdem Teezi Breezi, nicht Tripp Trapp.

Aber nicht nur diese „pädagogische Maßnahme“ missfällt A., er wünscht sich eine andere Schule auch wegen einer besseren Förderung für seinen Sohn, die nun seiner Ansicht nach und laut einem Bericht des renommierten Kinder- und Jugendpsychiaters Werner Gerstl in der Sonderschulklasse nicht mehr gegeben ist. Die 2005 gestellte Diagnose auf das Asperger-Syndrom, eine Sonderform des Autismus, kann demnach nicht mehr aufrechterhalten werden: „Wenn man die Diagnosestellung eines Asperger-Autismus heute auf die schon eroberten Fähigkeiten hin überprüft, so muss aus diagnostischen Erwägungen heraus diese fast infrage gestellt werden. [...] Mit einem hohen Maß an Wahrscheinlichkeit ist P. im Rahmen der S-Beschulung (Sonderschule, Anm.), die zu Beginn der Betreuung richtig war, unterfordert“, schreibt Gerstl.

Krätzmilbenbefall im Heim

Die Vorgeschichte: 2007, als P. in der Dr.-Schärf-Schule aufgenommen wurde, hatte P. eine lange Leidensgeschichte hinter sich: Die Mutter des Kindes, eine Beamtin der Jugendwohlfahrt Salzburg, war nach der Trennung mit der Erziehung des verhaltensauffälligen Kindes überfordert, ein Salzburger Psychologe attestierte das seltene Asperger-Syndrom, und die Heimunterbringung in der „Camphill Schulgemeinschaft Brachenreuthe“ wurde genehmigt (Kosten pro Monat: 6800 Euro). Aber als P. Weihnachten 2007 bei seinem Vater verbrachte, stellte dieser einen Ausschlag fest: Unter der Haut des Buben hatten sich Krätzmilben eingenistet. Nach der Meldung der offensichtlichen hygienischen Mängel wurde der Heimplatz in Brachenreuthe gekündigt, A. erhielt das Sorgerecht und war zunächst froh über die Aufnahme seines Sohnes in der Dr.-Schärf-Schule: „Doch sein Zustand hat sich inzwischen verbessert, wie auch der behandelnde Arzt bestätigt.“

Die Aussicht, dass das Kind aus der Sonderpädagogik kommt, ist dennoch schlecht: wegen des sozialpädagogischen Befunds, den die Schulbehörde vor zwei Jahren ausgestellt hat und der vom Vater damals nicht beeinsprucht wurde. Darauf basiert die Beschulung nach dem Schwerstbehindertenplan, und Bezirksschulrätin Pitzer sieht keinen Anlass, ihn zu überdenken. Sie kenne zwar die Gerstl-Expertise nicht, den pädagogischen Anspruch des Kindes halte sie für unverändert: „P. ist ein schwer behindertes Kind“; das Problem sei, dass der Vater das nicht akzeptieren könne und sich deshalb „höchst undankbar der Schule gegenüber“ verhalte.

Die Regelschule rückt für P. damit in weite Ferne: Mit dem Befund „Lehrplan der Sonderschule für schwerbehinderte Kinder“ wird sich schwerlich eine Schule finden, die ihn in eine Integrationsklasse aufnimmt. Karl A. will einen Rechtsanwalt einschalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2010)

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