Sängerknaben: Prügel in Altenburg, Sex in Wien

(c) Reuters (Herwig Prammer)
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Ehemalige Chorknaben berichten über zudringliche Höhersemestrige und sadistische Chorleiter. Offiziell waren die Übergriffe verboten. Inoffiziell wurden sie toleriert.

Wien.Nach der katholischen Kirche geraten nun die Lebensumstände in den Internaten von Knabenchören in die Kritik. Der „Presse“ vertrauten sich zwei inzwischen erwachsene Männer an, die von ihren Erlebnissen bei den Sängerknaben in Wien und im niederösterreichischen Benediktinerstift Altenburg berichten. Die Rede ist von sexuellen Handlungen unter den Schülern und einem sadistischen Chorleiter, der die Knaben beim Gesangsunterricht „grün und blau“ geschlagen haben soll.

Die Gewaltvorwürfe betreffen den seinerzeit bekannten, inzwischen aber verstorbenen Dirigenten Leopold F. „Wenn ihm während der Proben etwas nicht passte, hat F. Watschen ausgeteilt, und zwar regelmäßig bis zum Nasenbluten“, klagt nun ein ehemaliger Internatsschüler des Benediktinerstifts an. Was ihn heute noch stört: „Alle wussten von seiner sadistischen Ader, auch der zuständige Erzieher des Stifts, ein Pater, der wissentlich weggeschaut und uns unserem Schicksal überlassen hat.“ In ganzen 23 Jahrgängen habe F. Angst und Schrecken verbreitet. Vor zehn Jahren verstarb er.

Und tatsächlich scheint F.s Treiben in Altenburg unter den Patres kein Geheimnis gewesen zu sein. Angesprochen auf die Vorwürfe begann der erst seit fünf Jahren amtierende Abt Christian Haidinger bei den damaligen Erziehern zu recherchieren. „Es ist nicht zu leugnen, dass F. Kinder misshandelt hat“, sagt er im Gespräch mit der „Presse“. Bei einem weiteren Betroffenen, mit dem er aktiv Kontakt aufgenommen hat, habe er sich inzwischen stellvertretend entschuldigt. Der heutige Chorbetrieb sei von den Gewaltexzessen jedoch nicht mehr betroffen. „Ich habe sofort nachgefragt. Derzeit gibt es nicht den geringsten Verdacht.“

Übergriffe im Doppelbett

Die international bekannten Wiener Sängerknaben sind derzeit mit anderen Enthüllungen konfrontiert. Ein ehemaliger Internatsschüler, der 1991 den Chor wegen Stimmbruchs verlassen musste, berichtet heute von systematischen sexuellen Übergriffen älterer auf jüngere Schüler. „Manches davon geschah freiwillig, vieles aber nicht. Das geht seit Jahrzehnten so und wurde inzwischen wohl als etwas verinnerlicht, was man den ,Chorgeist‘ der Sängerknaben nennen könnte“, erzählt der heute 32-Jährige. Viele seiner Alterskollegen hätten die Übergriffe – etwa gegenseitige Selbstbefriedigung – bis heute nicht verkraftet, wären sozial abgestürzt, manche sind im Drogenmilieu gelandet. Am schlimmsten soll es während der oft mehrmonatigen Auslandstourneen zugegangen sein. „Damals waren immer vier Knaben in je zwei Doppelbetten pro Zimmer untergebracht.“

Offiziell waren die Übergriffe der oft schon pubertierenden Buben verboten. Tatsächlich wurden sie von den Erziehern und Kapellmeistern aber toleriert.

„Ich kann bestätigen, dass das Thema immer wieder aktuell war“, sagt der heutige künstlerische Leiter und damalige Kapellmeister der Sängerknaben, Gerald Wirth. Und: Bereits in seiner Jugend – auch er war als Schüler im Chor der Sängerknaben – sei es zu sexuellen Handlungen unter den Schülern gekommen. „Kinder in diesem Alter setzen sich nun auch einmal mit ihrer Sexualität auseinander“, sucht er nach Erklärungen für die Vorfälle. Er betont aber, dass alles, was über ein „gesundes Maß“ hinausgehe, von externen Experten begutachtet werde. Einer davon sei der Kinder- und Jugendpsychiater Max Friedrich.

Bestätigte Fälle sexueller Übergriffe von Erziehern auf Kinder sind weder Wirth noch dem „Presse“-Informanten bekannt. Allerdings wurden in den 1970ern ein Pädagoge und ein Kapellmeister entsprechender Taten verdächtigt. Beide Personen wurden gekündigt.

AUF EINEN BLICK

Die Knabenchöre von Wien und Altenburg sehen sich mit Vorwürfen konfrontiert. In Wien sollen ältere Schüler jüngere zu sexuellen Handlungen gedrängt haben. In Altenburg soll ein sadistischer Chorleiter tätig gewesen sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2010)

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