Entführungsfall mit hitzigen Nebenfronten

Selbst Ex-Verfassungsgerichtshof-Präsident Ludwig Adamovich wurde der Jahrhundertfall zum Verhängnis.

WIEN (m.s.). „Die Mehrtätertheorie ist auszuschließen.“ Mit diesem Leitsatz waren die Ermittlungen zum Entführungsfall Kampusch im Jänner dieses Jahres offiziell abgeschlossen worden. Umso erstaunlicher ist es, dass sich – ganz abgesehen von der Causa Ernst H. – an diversen Nebenfronten sehr wohl heftige gerichtliche Auseinandersetzungen abspielen. Die bisher prominenteste Verurteilung betrifft den früheren Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, Ludwig Adamovich.

Er erhielt in erster Instanz 10.000 Euro Geldstrafe wegen übler Nachrede, die Hälfte davon auf Bewährung. Grund: Der mittlerweile 77-jährige Spitzenjurist hatte als Chef der vom Innenministerium eingesetzten Kampusch-Evaluierungskommission in einem Zeitungsinterview gemeint, dass für Natascha Kampusch die Zeit der Gefangenschaft möglicherweise besser war, als das, was sie davor erlebt habe. Brigitte Sirny, die Mutter von Natascha Kampusch, brachte daraufhin eine Privatanklage ein. Die gewünschte Verurteilung folgte. Adamovich kündigte volle Berufung an.

Auch gegen den pensionierten steirischen Richter und nunmehrigen Anwärter auf eine Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten, Martin Wabl, blieb Brigitte Sirny siegreich. Sie hatte eine Zivilklage auf Unterlassung gegen Wabl eingebracht, nachdem dieser verbreitet hatte, sie, Sirny, habe mit der Entführung zu tun gehabt. Das Gericht erachtete den angebotenen Wahrheitsbeweis Wabls als „völlig misslungen“. Wabl wollte nicht aufgeben, berief und verlor auch in zweiter Instanz.

Rüge für die Behörden

Kurios ist die Tatsache, dass auch der Vater von Natascha Kampusch, Ludwig Koch, im Zusammenhang mit dem Fall verurteilt wurde. Er kam als Beobachter zum Verfahren „Sirny gegen Wabl“. Und traf dort auf den als Zeugen geladenen Ernst H. Koch hatte das Gefühl, dass H. möglicherweise mehr wisse, als er zugebe oder sonst irgendwie in den Fall involviert sei, konnte sich nicht beherrschen und ging vor dem Gerichtssaal auf H. los. Dieser schrie sofort schrill los: „Ich werde tätlich angegriffen.“ Koch fand sich später auf der Anklagebank wieder: zwei Monate bedingt wegen Nötigung. Diese Strafe wurde in der Instanz auf 480 Euro Geldstrafe (zur Hälfte bedingt) reduziert.

Und was blieb außer Streitigkeiten an gerichtlichen Nebenfronten? Die Empfehlung der Adamovich-Kommission, die da lautet: Die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei müsse für die Zukunft „optimiert“ werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.