Gelato: Das Geheimnis der Eisverkäufer

(c) Michaela Bruckberger
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Der Frühling hat begonnen – nicht nur offiziell. Die italienischen Eisverkäufer sind nach Wien zurückgekehrt. „Die Presse“ war bei einer Saloneröffnung dabei – und schaute dem Eismann über die Schulter.

Die Sonne ist das Geheimnis. Das Geheimnis des Eismannes.

„Es reicht, wenn es zehn Grad hat. Aber die Sonne muss scheinen. Dann bekommen die Leute im März Lust auf Eis“, erklärt Gianni de Pellegrin. „Ja, die Sonne“, sagt seine Frau Giovanna noch einmal nachdrücklich und lächelt. „Die Leute wollen dann keine Maroni mehr essen.“ Nein, sie wollen Eis essen. Sieben Liter pro Kopf schleckten die Österreicher 2009. Tendenz steigend. Der Handel mit Gefrorenem ist eben ein krisenresistentes Gewerbe.

Gianni und Giovanna de Pellegrin, die italienischen Inhaber aus den Dolomiten, sind vor Kurzem in Wien eingetroffen. Auch heuer sperren sie wie jedes Jahr den Salon in der Westbahnstraße 7 im März auf. Wenn nur ein bisschen die Sonne scheint, ist das Café auch dieser Tage schon voll – selbst wenn es noch nicht richtig warm ist. Von draußen lugen die Passanten neugierig durch die Auslage, ein Kind macht einen Luftsprung. Manche kommen und schütteln dem Eismann persönlich die Hand – als wollten sie die warme Jahreszeit leibhaftig begrüßen.

Es ist eine kindlich-existenzielle Freude: Der Eismann, vor allem der italienische, ist ein Vorbote des Frühlings. Ist er wieder in Wien, ist der Winter vorüber. Von jetzt an kann es nur, nein, muss es wärmer werden.

Alljährliches Reinigungsritual

Die Saisoneröffnung ist ein Ritual für Gianni de Pellegrin, den 54-Jährigen mit weißem Kurzhaar, Schnurrbart und dem schmalen Kinnbärtchen, das er alljährlich gewissenhaft zelebriert. Zunächst macht er sich an der vernagelten Eingangstür zu schaffen. Dann malt er neu aus: außen lindgrün, im Salon zuckerlrosa. Die rot gemusterten Sitzbänke werden abgestaubt, die Eisvitrine wird poliert, bis sie glänzt. „Am Schluss hänge ich die Eisfahne raus.“ Fertig? Nicht ganz.

Denn das Eis wird zuletzt zubereitet. Relativ flott. „In einem halben Tag habe ich sieben, acht Sorten“, erklärt de Pellegrin, der den Salon in dritter Generation betreibt – und sich dafür sogar in der Interessenvertretung einsetzt: Der Südtiroler ist Sekretär beim Verein der italienischen Eishersteller in Wien. Ein Drittel der etwa 150 Wiener Eissalons führt das Siegel der traditionsreichen Vereinigung (gegründet 1927!). Sie dürfen sich, wie de Pellegrins Café, als original italienische Eissalons bezeichnen.

Eisexperimente? – Nicht so gerne

Auf sein Blutorangeneis ist das Paar besonders stolz – und manche Kunden kommen extra deswegen in die Westbahnstraße. Das hellrosa Gefrorene ist auch deshalb so begehrt, weil es nur für kurze Zeit erhältlich ist. „Die italienischen Moro-Orangen gibt es nur bis Mitte April.“ Gianni de Pellegrin vermischt den Orangensaft mit Wasser und Zucker, erhitzt ihn, lässt die Mischung erkalten und gießt sie in die Eismaschine, ein viereckiges Gerät, das aussieht wie ein kleiner Wäschetrockner. Im Inneren der Maschine dreht sich ein Gefäß, der Saft wird gekühlt, an die kalte Innenwand geworfen und mit einem Schaber immer wieder heruntergekratzt. Zehn Minuten lang geht das so. Dann ist das Eis fertig und kommt in die Vitrine.

Und schließlich gibt es noch die Eigenkreationen wie Prosecco oder Rubincreme – Stracciatella auf Vanillebasis mit Himbeersirup. „Diese denken wir uns im Winter aus“, grinsen die beiden. Wenn die de Pellegrins ab Oktober, nach der Saisonarbeit ohne jeden freien Tag, endlich ausspannen können, hat Gianni Zeit für seine Modelleisenbahn, Giovanna geht auf Kur. Und sie besuchen italienische Eismessen, bei denen die Trends der kommenden Saison präsentiert werden – Kreationen wie Cookie-, Popcorn- oder Smarties-Eis, über die sich das Paar wundert. Denn die Besitzer des kleinen Eissalons sind relativ trendresistent. Die Vorgaben „der Industrie“, wie Gianni verächtlich sagt, möge er nicht. „Da bin ich stur. Ich mache traditionelles, handwerkliches Gelato.“

Trendresistent ist auch das Interieur des Salons, wobei: Eigentlich ist es schon wieder en vogue. Der gesprenkelte Terrazzoboden, die rot getäfelte Theke, die blau-weißen italienischen Keramiktöpfe oben auf dem Regal. Neben der in Schönschrift geschriebenen Preisliste hängt ein rotes Schild, auf dem der „Cappuccino zum Mitnehmen“ beworben wird. Ja, auch verschließbare Pappbecher für den Kaffee haben hier Einzug gehalten – entgegen der italienischen Tradition vom Frühstücks-Latte: „Hier holen sich viele den Cappuccino auch am Nachmittag. In Italien würde das niemand tun.“

Doch mit den hiesigen Gewohnheiten sind die de Pellegrins ohnehin gut vertraut, 2010 ist die 85.Saison. Giannis Großvater war zuerst Bauer. Als er damit seine Großfamilie nicht mehr ernähren konnte, wurde er Maronibrater in Mailand, später, im Jahr 1925, Eisverkäufer in Wien. Ein altes Foto an der Wand zeugt von den Anfängen der Gelateria: eine weiße Holztheke mit im Inneren eingefassten Porzellantöpfen, verschließbar mit Holzdeckeln. Fünf Sorten gab es damals. Heute wäre das zu wenig. Und: „Heute wollen die Leute das Eis sehen.“ Dass „Ausspucken strengstens verboten“ ist, darauf mussten die Gäste damals hingewiesen werden. Jetzt beschränken sich die Probleme auf turnende Kinder. „Wir haben viele Kinderwagen“, sagt Giovanna de Pellegrin.

Aber eigentlich freut sie sich über die jungen Gäste. Schließlich braucht eine Gelateria Nachwuchskundschaft.

AUF EINEN BLICK

Eisverbrauch in Österreich: In Österreich wurde 2009 Eis im Gesamtwert von 309 Mio. Euro verkauft. Tendenz steigend, trotz Wirtschaftskrise. Knapp ein Fünftel davon wird in Eissalons umgesetzt. Im Jahr 2009 verbrauchten die Österreicher pro Kopf rund sieben Liter Eis. Europas Spitzenreiter: die Schweden mit zwölf Litern. Schlusslicht: Portugal mit 4,5 Litern.

In Wien gibt es rund 150 Eissalons, etwa 50 davon gehören zur „Vereinigung der italienischen Gefrorenes-Erzeuger in Österreich“ (AGIA), gegründet 1927. Liste unter: www.agia.at. Gianni de Pellegrins Eissalon in der Westbahnstraße 7 auf Facebook: www.facebook.com/Eissalon.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2010)

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