Tote im Weinviertel: Tat eines Serienmörders?

Frauenmorde serienweise
Frauenmorde serienweise(c) REUTERS (MORRIS MAC MATZEN)
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Der Mord an einer bulgarischen Prostituierten könnte die Tat eines Serienmörders sein. Ein Begriff, der in Österreich vor allem mit einem Namen verbunden ist: Jack Unterweger. Aber es gab nicht nur ihn.

Wie sehne ich mich, eine Nacht im Jahr würde mich beglücken, beruhigen, der onanierenden Aggression entziehen, nach meiner Geliebten, einmal wieder wirklich Mensch, Lebender und Mann sein zudürfen. Jack Unterwegers Sehnsüchte nach einer Entlassung aus dem Gefängnis fanden Eingang in seinen Roman „Fegefeuer“. Den schrieb er nach seinem (ersten) Frauenmord, jenem an der 18-jährigen Margret Schäfer im Jahr 1974. Obwohl zu lebenslanger Haft verurteilt, wurde der „Literat“ bereits nach 15Jahren als Musterfall einer gelungenen Resozialisierung aus dem Gefängnis entlassen. 673Tage später saß Unterweger wieder hinter Gittern. 1994 erhängte er sich in seiner Zelle. Was blieb, ist sein Name, der in Österreich auf Anhieb genannt wird, wenn es um Serienmorde geht. Auch jetzt wieder – nachdem im Bezirk Gänserndorf die Leiche der Prostituierten Petya F. gefunden wurde.

Ein bisher flüchtiger Täter hat der 24-Jährigen, die am Westbahnhof-Straßenstrich ihre Dienste anbot, vorige Woche den Kopf eingeschlagen, sie nackt auf einem Feldweg abgelegt, mit Benzin übergossen und verbrannt. Am 6.August 2007 wurde die Tschechin Katerina V. (23) – ihr Standort war der Prater-Straßenstrich – in Asparn an der Zaya (Niederösterreich) gefunden. Sie war nackt. Der Täter hatte sie erstochen, ihr die Hände abgetrennt, sie angezündet. Auch andere Frauenmorde vom Jänner 2005 (Steiermark) und Oktober 2008 (Kärnten) tragen eine ähnliche Handschrift. War es ein Serienkiller? Die Ermittler bieten seit Samstag 3000 Euro für sachdienliche Hinweise.

„Jedem Land seinen Serienmörder“, sagt Astrid Wagner. „Und dafür ist halt bei uns der Unterweger zuständig.“ Astrid Wagner war Rechtspraktikantin, „frisch g'fangte Juristin“, wie sie selbst sagt, als sie den in U-Haft sitzenden „Häfenpoeten“ Jack Unterweger regelmäßig besuchte, für ihn kämpfte– und für ihn ihren Ruf aufs Spiel setzte. „Natürlich hat er mich eingespannt“, sagt die mittlerweile erfolgreiche Anwältin rückblickend. Wegen neun von elf in der Anklage aufgelisteten Prostituiertenmorden wurde der vormalige Schickerialiebling erneut zu lebenslanger Haft verurteilt. Der drohenden Bestätigung des Urteils in zweiter Instanz entging er – durch Selbstmord, sechs Stunden nach der Verurteilung.


"Literarische Qualität." Während Unterweger schrieb und für Lesungen beachtliche Subventionen kassierte, schrieben andere über ihn – viel Gegensätzliches. „Große literarische Qualität“ beim Beschreiben seiner Kindheit bescheinigte Elfriede Jelinek, mittlerweile Literaturnobelpreisträgerin, dem 1950 in Judenburg geborenen Sohn einer straffällig gewordenen Mutter und eines US-Besatzungssoldaten. Davor, beim ersten Mordprozess, schrieb Gutachter Werner Laubichler: „Er ist äußerst aggressiv, wobei vor allem eine abnorme Einstellung zu Frauen zu bemerken ist.“

Aber es gab nicht nur Unterweger. Es gab und gibt etwa den Filmemacher Wolfgang Ott. Der kauerte 1996 im violetten Sweatshirt, die Kapuze über den Kopf gezogen, mit verzweifelter Miene auf der Anklagebank und versuchte seine Äußerung „Ich habe es einfach tun müssen“ zu erklären. „Es tun müssen“ meinte das: Ott, als „besonders gefährlicher“ Sexualneurotiker eingestuft, verschleppte eine 23-jährige Bankangestellte, hielt sie drei Tage nackt und gefesselt gefangen, ihre Augen waren verbunden, sie bekam nichts zu essen, wurde misshandelt, sexuell missbraucht, ehe er mit ihr auf einen See hinaus paddelte, wo er der noch lebenden Frau einen Betonring um die Beine band und sie aus dem Boot warf. Ott erhielt „lebenslänglich“ plus Einweisung in eine psychiatrische Anstalt und wurde drei Jahre später auch noch wegen Mordes an einer 19-Jährigen verurteilt. Vor sechs Jahren versuchte er zu fliehen. Vergeblich.

Dann war da der ehemalige ÖBB-Schlosser Helfried Berger. Er schlich gern in Frauenkleidern, mit Perücke durch Bordelle und bezahlte für Fesselspiele. Sein Timing war verhängnisvoll. Eine 52-jährige Prostituierte wurde ungeduldig. Berger vor Gericht: „Sie hat gesagt, sie hat nicht die ganze Nacht Zeit.“ Die Frau war, als sie das sagte – gefesselt. Berger hatte leichtes Spiel. Er würgte die Frau. „Dann hab ich das Lederband genommen, und ich hab zugezogen.“ Danach trank er „zur Beruhigung einen Schnaps“, zerstückelte die Leiche, fuhr die Teile mit einer Scheibtruhe durch Wien und legte sie in Hütteldorf ab. 20Jahre Haft – wegen „besonderer Heimtücke“. Drei weitere Prostituiertenmorde wurden ihm angelastet. Doch Berger widerrief seine Geständnisse. Und Beweise fanden sich keine.

Wucht der Indizien. So etwas wie Charisma hatte nur Unterweger. Wie er als Angeklagter, dem eine weltweit aufsehenerregende Serie von elf Prostituiertenmorden zur Last gelegt wurde, mit einem angedeuteten Lächeln vor die Grazer Geschworenen trat, wie er es bis zuletzt schaffte, Briefe von Frauen zu bekommen, wie er standhielt, als sich alle Indizien in überzeugender Wucht gegen ihn zusammenballten – all dies trug zum schaurigen Mythos einer raffiniert-gefährlichen, in Wahrheit aber monströsen Täterpersönlichkeit bei. Unterweger floh durch Suizid aus dem Leben. Vorahnungen scheint er schon im Buch „Fegefeuer“ gehabt zu haben, er schrieb: erschreckende Träume – im Meer die Einsamkeit – bebende Wände des Sarges – verschwiegenes Vorhandensein.

Im Weinviertel wurde kürzlich die verbrannte Leiche einer bulgarischen Prostituierten gefunden. Die These, dass Mädchenhändler ein Todesurteil vollstreckt haben, ist brüchig. Eher könnte ein irrer Serientäter am Werk gewesen sein, da es Parallelen zu drei weiteren Prostituiertenmorden gibt. Bisher hat das niederösterreichische Kriminalamt keine heiße Spur.

Die mögliche Verbrechensserie weckt Assoziationen an den einst als „Häfenliteraten“ gefeierten Frauenmörder Jack Unterweger. In dessen Rolle war zuletzt Hollywood-Star John Malkovich im Wiener Ronacher geschlüpft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2010)

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