Doppelt diskriminiert: Migrant und schwul

Doppelt diskriminiert Migrant schwul
Doppelt diskriminiert Migrant schwul(c) Michaela Bruckberger
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Am Samstag findet die Regenbogenparade in Wien statt. Offiziell dabei ist erstmals eine kaum bekannte Gruppe: Schwule, Lesben und Transgender mit Migrationshintergrund. Vorurteile erschweren offene Sexualität.

Wir wollen uns nicht verstecken“, sagt Yavuz K. vom 2009 gegründeten Verein Migay. Er ist jener Mann, der für die Regenbogenparade am Samstag den Truck der schwulen Migranten organisiert. Mit der erstmaligen Teilnahme wollen die Aktivisten zeigen, dass es Migranten außerhalb des heterosexuellen Schemas schwer haben: Rassismus von österreichischen Hetero- und Homosexuellen sowie Homophobie machen ihnen zu schaffen. „Ich werde mehrfach diskriminiert: als Ausländer, als Moslem und als Homosexueller“, sagt K.

Je offensichtlicher schwul, desto mehr Probleme. Lesben eckten dagegen weniger an. Sabrina Andersrum, eine Transgender-Frau, die als Bub in Bratislava geboren wurde, hat zumindest wenig negative Erfahrungen gemacht: „Ich komme in jede Yugo-Disko rein – man findet mich lustig. Aber Schwule können dort nicht knutschen. Die riskieren Prügel.“

Vorurteile der eigenen kulturellen Gemeinschaft erschweren offene Sexualität. „Nicht jeder Schwule ist ein Stricher. Das muss man erst erklären“, meint Yavuz K. „Als mich mein Vater in flagranti erwischte, habe ich gleich die Koffer gepackt. Glücklicherweise bin ich dann doch geblieben.“ Heute akzeptieren ihn seine Eltern. Nur geredet wird nicht darüber.

Versteckspiel der Flüchtlinge

Insbesondere Flüchtlinge, die in der Heimat wegen ihrer Homosexualität verfolgt wurden (s. Artikel unten), bleiben mit ihrer Neigung lieber im Verborgenen. Daten zu solchen Fällen gibt es weder beim Bundesasylamt noch vom Flüchtlingskommissariat der UNO. Asylanwalt Georg Bürstmayr schätzt, dass es sich um eine „zweistellige Zahl pro Jahr“ handelt.

Noch in Wien geht das Versteckspiel der Flüchtlinge weiter: „Wien ist wie ein Dorf“, sagt Tim Ausserhuber vom Migrantenverein Sankt Marx. „Jeder kennt jeden. Besonders in Asylunterkünften herrscht Panik.“ Psychotherapeut Johannes Wahala von der Beratungsstelle Courage nennt das die „Gefahr der Retraumatisierung“. Um nicht erkannt zu werden, lehnen Asylwerber daher oft Dolmetscher ab.

Ausserhuber: „Flüchtlinge leiden doppelt: Vor den Landsleuten müssen sie sich ,normal‘ geben, aber bei den Asylbehörden heißt es: Zeige dich!“ Denn die Verfolgung wegen der sexuellen Orientierung muss glaubhaft sein. Doch wie beweist man, was man nicht unbedingt sieht? Psychologische Gutachten sind eine Möglichkeit: „Aber es braucht auch feinfühlige Richter und Beamte“, so Wahala, „die Scham verstehen.“ Das ist nicht immer der Fall: manche Anträge haben Erfolg, andere nicht.

Vor ein paar Wochen wurde der Nigerianer Cletus B. abgeschoben. Sein Asylantrag war abgelehnt worden. Heute lebt er, wie die Flüchtlingsbetreuerin Ursula Omoregie berichtet, „in ständiger Angst in Lagos. Er geht nur nachts außer Haus.“ Zu seiner Familie nach Nordnigeria kann er nicht zurück: Dort erwartet ihn die Todesstrafe.

Wenig Verständnis in der Szene

Cletus' Problem: Er bekannte sich erst im Folgeantrag zu seiner Neigung. „Dann kritisieren die Ämter: ,Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?‘“, so Anwalt Bürstmayr. Manchmal berechtigt: denn Missbrauch existiere, warnt Kurt Krickler von der Homosexuelleninitiative (Hosi). „Homosexualität ist kein Zauberwort.“ Wichtig sei daher die Sensibilisierung der Behörden. Das fange mit dem Wissen um die Begriffe an und höre bei der Intuition auf.

Fingerspitzengefühl – das fordert auch Yavuz K., wenn es um die Anliegen homosexueller Migranten geht: „Ich rate, nicht sofort aufzugeben oder überstürzt von zu Hause auszuziehen. Rechte sind unabdingbar, aber nicht alles, wenn man seine Familie verliert.“

Besonders viel Verständnis in der schwulen Szene gebe es für die Anliegen schwuler Migranten nicht, bedauert K. „Wir bekommen von ihnen kaum Unterstützung. Sogar die Startgebühr für die Regenbogenparade mussten wir selbst auftreiben.“ Der große Zusammenhalt in der Schwulenszene stößt anscheinend auf Grenzen, wenn andere Abgrenzungen schwerer wiegen. Auch Sabrina Andersrum hat solche Diskriminierungen schon erlebt: „Es gibt österreichische Schwule, die ausländische Schwule wegen ihrer Hautfarbe abkanzeln.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2010)

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