Rotlicht-Reportage: "Der Gürtel ist tot"

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Die Stadt Wien will in Sachen Prostitution "die Situation verbessern". Genau das macht den Frauen vom Straßenstrich die größten Sorgen. "Wenn wir uns woanders hinstellen, sind wir 99 Prozent der Stammkunden los."

Lisa will sich nicht „retten“ lassen, weder von einem verliebten Kunden noch von der Stadtpolitik. Was Lisa tut, nennt sie selbst „ausleben“. Und „mehr Geld verdienen als in einem anderen Job“. Vier Tage bzw. Nächte in der Woche ist die 25-jährige Wienerin in der Linzer Straße anzutreffen. Auf dem Straßenstrich.

Lisa ist Prostituierte, sie hat, so erzählt sie bei einem Treffen mit der „Presse“ in einem Gasthaus in der Leopoldstadt, „zwei bis drei Kunden“ pro Arbeitstag. Dass das Thema Prostitution nun, im Wahlkampf, von der Stadtregierung aufgegriffen wird, sieht die attraktive blondgelockte Frau mit Besorgnis.

Kaum eine jener „Maßnahmen“, die nun „zur Verbesserung der aktuellen Situation“ gesetzt werden, wie es in einem Papier von Frauenstadträtin Sandra Frauenberger heißt, ist aus Lisas Sicht wirklich sinnvoll. Man muss gar nicht die geplante, aber schlichtweg unkontrollierbare Kondompflicht bemühen (Lisa: „Sollen wir die gebrauchten Kondome dann bei der wöchentlichen Untersuchung vorweisen?“) – auch die Verlagerung der Straßenprostitution in zwei neue Zonen (einen kleinen Bereich hinter dem Technischen Museum sowie einen kurzen Abschnitt der Linken Wienzeile) widerspreche den Interessen der Frauen.

„Wir müssten dort öfter zu den Männern ins Auto einsteigen.“ Dies sei mitunter riskant. Hingegen befinde sich der bisherige Standplatz in unmittelbarer Nähe zu einem jener „Zehn-Euro-Hotels“: Freier haben dort, eben um erschwingliche zehn Euro, Zimmer plus Dusche, müssen „es“ somit nicht im Auto oder in Parks tun. Und die Frauen haben ein relativ hohes Maß an Sicherheit.

Das sagt nicht nur Lisa, Claudia (23) sieht es genauso. Die zierliche schwarzhaarige Frau steht für gewöhnlich auch in der Linzer Straße. Sie arbeitet fünf bis sechs Tage in der Woche, auf Wunsch als Domina. Zusätzlich lässt sie sich – ebenso wie Lisa – von einer „Agentur“ an Männer vermitteln. Weitere Nachteile der von der Stadt „beworbenen“ Zonen, die übrigens bisher praktisch überhaupt nicht angenommen werden, erklärt Claudia ökonomisch nachvollziehbar: „Wenn wir uns woanders hinstellen, sind wir 99 Prozent unserer Stammkunden los, die finden uns dann nicht mehr.“

Das nächste Problem: die jede Woche gesetzlich zwingend vorgeschriebenen medizinischen Kontrollen. Dabei werden die Frauen auf Geschlechtskrankheiten untersucht. „Da sitzen drei Ärzte für 2000 Frauen“, beklagt Lisa. Die Bedingungen seien einfach unwürdig.

Komme man nur einen Tag später, setze es „drei Wochen Sperre und zirka 500 Euro Strafe“. Bei Fernbleiben könne es auch passieren, „dass wir von der Polizei aus der Wohnung abgeholt und zur Untersuchung vorgeführt werden“. Weiteres Manko: „Uns wird nicht erklärt, worauf wir genau untersucht werden.“ Zudem habe die Untersuchung eine unschöne Kehrseite: „Die Männer sagen uns dann: ,Hast eh den Deckel (Kontrollkarte, Anm.), bist eh g'sund, also wollen wir ohne Kondom.‘“

Bei einem Treffen in einem Beisl im Stuwerviertel (2. Bezirk) greift auch Kathi dieses Thema auf. „Bei der wöchentlichen Untersuchung werden wir behandelt wie eine Nummer.“ Die 19-Jährige, die, so erzählt sie, mit ihrer betont molligen Figur gutes Geld mache („50 bis 80 Kunden pro Monat“), fordert: Statt wöchentlicher Zwangsuntersuchungen solle es anonyme, freiwillige Untersuchungen geben. Der – freilich berechtigte – Einwand, dass dieser Wunsch die Gesundheit der Bevölkerung gefährden könne, relativiert sich angesichts ernüchternder Zahlen.

Ungefähr 2000 Sexarbeiterinnen (Kathi auf diesen Begriff angesprochen: „Ich würde mich als Hure bezeichnen“) verlängern mit der Untersuchung wöchentlich ihre Kontrollkarte. Indes entziehen sich in Wien etwa 3000 illegale Prostituierte – also die klare Mehrheit – jeder medizinischen Kontrolle.

Weitere Zahlen: Der Ausländeranteil unter den Prostituierten beträgt bei den registrierten Frauen schätzungsweise 80 Prozent, bei den nicht registrierten um die 70 Prozent. Die älteste Prostituierte Wiens ist 78 Jahre alt, sie wartet für gewöhnlich in einem Auto auf ihre zwei, drei Stammkunden. Nur 16 Männer sind derzeit als Sexarbeiter offiziell gemeldet. Inoffiziell bieten mehr als tausend Männer (zumindest gelegentlich) schwule Dienste gegen Geld (sogenannte Stricher).

Nicht nur die Straße, auch die Bordelle will die Stadt künftig besser kontrollieren. Wer ein einschlägiges Lokal eröffnen will, soll sich beim Magistrat melden müssen, soll Auflagen erfüllen– und ein Leumundszeugnis vorlegen müssen. T. M., der im Wiener Rotlicht einflussreiche Betreiber mehrerer Klubs, lächelt ob der, wie er meint, blauäugigen Idee. Es fehle an objektiven Kontrollkriterien. Bloße Razzien wiederum würden auch „gute Klubs“ ruinieren – und immer neue Hinterzimmer-Prostitution fördern.

Lieber solle die für die Prostitution geltende Sittenwidrigkeit abgeschafft werden. Siehe da: Diese Aufforderung an den Bund kommt sogar von der Stadt Wien. Derzeit werden Prostituierte zwar besteuert, sie dürfen aber kein ordentliches Angestelltenverhältnis mit einem Klubbetreiber eingehen– und auch ihren Lohn nicht einklagen.

Und der Gürtel, jahrzehntelang die Rotlichtmeile der Stadt? „Der Gürtel ist tot“, sagt T. M. Die grauen Eminenzen, die die Lokale vermieten, hätten zuletzt die falschen Betreiber an die Macht kommen lassen. „Früher hat sich die Branche selbst gereinigt, aber den früheren Ehrenkodex gibt es nicht mehr.“ Ein weiteres Handicap: Derzeit sitzt ein Dutzend Gürtel-Capos in U-Haft. T.M.: „Serben und Kroaten formieren sich gerade, um die Macht neu zu verteilen.“ Dabei geht es nicht nur um Prostitution, sondern auch, wie selbst die Polizei bestätigt, um Schmuggel. Und Menschenhandel.

Es gibt ihn also nicht mehr, den legendären Ehrenkodex. Ausnahmen bestätigen allerdings auch hier wieder die Regel: Als die Polizei kürzlich den Mann suchte, der eine rumänische Prostituierte anzündete und dadurch schwerst verletzte und entstellte (die Frau wollte ihre Einkünfte nicht hergeben), kam der Zund (Hinweis) direkt aus dem Milieu. T. M. fast sentimental: „Da haben die alten Strukturen noch funktioniert.“

Stadt & Rotlicht

Im Wien-Wahlkampf wird das Thema Prostitution von der Stadtregierung aufgegriffen. So wird über eine Kondompflicht nachgedacht.
Zudem wird die Verlagerung des Straßenstrichs in zwei neue Zonen „beworben“; sie werden allerdings kaum angenommen. Die neuen Maßnahmen bringen auch Nachteile für viele Prostituierte mit sich.

Der Ausländeranteil unter den (registrierten) Prostituierten beträgt rund 80 Prozent. Die älteste Prostituierte ist 78 Jahre alt. Nur 16Männer sind zurzeit als Sexarbeiter gemeldet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11. Juli 2010)

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