Wien: Ein Stadtrat für Sicherheit? Gute Idee!

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Kriminalsoziologe Wolfgang Stangl wünscht sich eine Magistratsabteilung für Sicherheit. Die zahlreichen Ordnerdienste wie Waste Watcher oder Ordnungsberater der Stadt Wien hält er für populistisch - aber richtig.

„Die Presse“: Herr Stangl, Wien schaut seinen Bürgern neuerdings sehr bestimmt auf die Finger. Im Park gibt es Waste Watchers, im Gemeindebau Ordnungsberater, in der U-Bahn die Leute vom Linienservice mit den gelben Westen. Das erinnert ein wenig an die Nulltoleranz-Doktrin von Bürgermeister Rudolph Giuliani aus den 90ern, wonach man auch kleinste Vergehen ahnden muss. Wird Wien New York?

Wolfgang Stangl: Natürlich gibt es zwischen den Städten enorme Unterschiede, aber bei diesem einen Aspekt haben Sie recht. Allerdings ist der Hintergrund verschieden. In den USA gab es nie das in Europa übliche Netz an staatlichen sozialen Diensten, und insofern war das Spektakuläre an New York damals, dass die Polizei begonnen hat, sich um Kleinigkeiten wie Schulschwänzen zu kümmern – bei uns undenkbar. Bei uns haben solche Ordnungsleistungen längst andere Stellen übernommen. Das Neue in Wien ist jetzt nur deren Sichtbarkeit.


Woher kommt die plötzlich?

Stangl: Das hat mit dem Wahlkampf zu tun – und mit Populismus. Die Idee, den Karlsplatz drogenfrei zu machen, halte ich für eine rein populistische Initiative, die nichts bringt und von der Bevölkerung auch nicht gefordert wird. Die Wiener haben sich mit dem Karlsplatz arrangiert. Wien ist ja kein Dorf, wo alle zusammenrennen, wenn sich ein Junkie zeigt.


Das nicht, aber ich bin auch oft baff, wie ungeniert dort gedealt wird.

Stangl: Ich finde das auch elend, aber ehrlich: Fürchten Sie sich?

Nein. Aber es geht beim Thema sichere Stadt doch nicht nur um richtige Angst, sondern ums sogenannte Sicherheitsgefühl. Und das, so predigt die Kriminalsoziologie, wird durch Ordnung im öffentlichen Raum erzeugt. Insofern macht die Politik mit verstärkter Polizeipräsenz und den vielen neuen Ordnern doch brav das, was man ihr empfiehlt, oder?

Stangl: Abgesehen davon, dass Ordnung nicht darin besteht, Randgruppen unsichtbar zu machen – ja, durchaus. Es ist zwar Populismus, aber einer, der in der Konsequenz etwas Akzeptables ergibt. Denn man weiß, dass Menschen gerne physische Personen als Ansprechpartner haben – der Hausmeister, die Klofrau, der Schaffner kommen jetzt in anderer Form zurück. Es ist die richtige Antwort auf ein Ordnungsbedürfnis, und sie muss von oben kommen, weil von unten nichts kommt.

„Von unten“ heißt aus der Bevölkerung?

Stangl: Genau, die Wiener leben ziemlich isoliert, und anders als in angloamerikanischen Ländern, wo die Community einen anderen Stellenwert hat, ist die Beteiligung der Bevölkerung an einer Präventionspolitik sehr schwierig.


Glauben Sie, dass Initiativen wie „Pro Nachbar“ oder die technische Vernetzung untereinander – Stichwort: Internet, Handykamera – das in Zukunft ändern?

Stangl: Da muss man zwei Entwicklungen abschätzen. Einerseits, ob die Bevölkerung sich künftig mehr im Ordnungsbereich engagieren will. Das glaube ich nicht. Die andere Frage lautet, was die Polizei will und ob sie von ihrer Strategie abgeht, allein fürs Thema Sicherheit zuständig zu sein. In England sagt die Polizei kühl: Wir als Organisation sind überhaupt nicht in der Lage, Sicherheit herzustellen, das geht nur durch massive Unterstützung der Community. Wenn die Polizei aber ihr Monopol aufgibt, kommen auch mehr private Sicherheitsunternehmen ins Spiel mit deren Interessen und deren Logik.

Die Polizei ist Bundessache. Was ist denn mit der Strategie der Stadt?

Stangl: Wien hätte eine gute Chance für eine vernünftige Ordnungs- und Kriminalpolitik, leider hat die Stadt aber bis jetzt verabsäumt, sich von einer Sicherheitspolitik, die ausschließlich von der Polizei gemacht wird, zu emanzipieren. Es gibt keine Magistratsabteilung, die laufend Daten sammelt, die sich öffentlich zur Kriminalitätsentwicklung und zu Ordnungsplänen äußert. Alles, was zu Kriminalität gesagt wird, ist Polizeiperspektive. Das ist so, als ob ausschließlich die Baumeister für Wohnungspolitik zuständig wären. Natürlich verstehen die was vom Wohnen, genau wie die Polizei von Kriminalität, aber das ist nicht die gesamte Perspektive. Insbesondere kommt bei der Polizei dazu, dass sie eine starke Gewerkschaft hinter sich hat. Viele der Sicherheitsdiskurse sind in Wahrheit Gewerkschaftsdiskurse. Auch das dauernde Insistieren, dass Wien mehr Polizei braucht, ist ein Gewerkschaftsargument.


Das heißt, Sie wären für die Forderung der ÖVP und FPÖ nach einem eigenen Sicherheitsstadtrat.

Stangl: Dem Grunde nach ja. Ich bin zwar kein Politiker und habe keine Forderungen zu erheben, aber eine kommunale Stelle, die sich zu anstehenden Sicherheitsfragen äußert, wäre eine Innovation.

Würde so eine MA für Sicherheit auch gegen Einbrüche helfen? Das Thema hat Wien im Vorjahr stark beschäftigt.

Stangl: Kaum. Dahinter stecken Einkommensgefälle zwischen verschiedenen Staaten und globale Entwicklungen, die nur mit großräumigen EU-Initiativen bekämpft werden könnten.


Abgesehen von den Einbrüchen – wie ist die Sicherheitslage in Wien?

Stangl: Großartig. Außer im Bereich der Vermögensdelikte, in dem sich die Lage quasi normalisiert hat und es im Vergleich inzwischen sicherere Städte gibt, hat sich kaum etwas verändert. In Wien kommen auf 100.000 Einwohner 1,4 Morde, in Prag sind es 4,3 und in Washington 42,9. In Wien gibt es also fast erstaunlich wenig Aggression.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2010)

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