69,3 Prozent der Türken fühlen sich eher „dem Staat, aus dem ich stamme bzw. aus dem meine Eltern stammen“ zugehörig. Einwanderer aus Ex-Jugoslawien, Polen und Rumänen fühlen sich mehr verbunden.
WIEN. Şevki Türkyilmaz ist zufrieden. Österreich und speziell Wien seien „gut“, sagt er. Vor 21 Jahren ist er aus Kırşehir in Zentralanatolien in die Bundeshauptstadt gekommen, er hat hier ein Geschäft aufgebaut. Das Land hat er lieb gewonnen: „Das Leben ist schön, und es gibt keine Probleme“, sagt der Chef der Başak Bäckerei in WienIII zur „Presse“. Ausländerfeindlichkeit? Fehlanzeige. „Wenn du gut zu den anderen bist, sind sie auch gut zu dir.“ Trotzdem: Manchmal wäre Türkyilmaz lieber in der alten Heimat, die der türkische Staatsbürger – „genau wie Österreich“ – immer noch als Zuhause empfindet. Heimisch fühle er sich hier wie dort. Und zugehörig auch, so der 55-Jährige.
Damit ist er nur teilweise auf Linie mit anderen Einwanderern der ersten oder zweiten Generation, die aus der Türkei stammen: 69,3 Prozent fühlen sich eher „dem Staat, aus dem ich stamme bzw. aus dem meine Eltern stammen“ zugehörig. 30,7 Prozent fühlen sich eher Österreich zugehörig. Bei Einwanderern aus dem früheren Jugoslawien, bei den Polen und Rumänen sagt hingegen jeweils eine deutliche Mehrheit, dass sie sich hier „zugehörig“ fühlt. Die Bevölkerungsgruppen zusammengenommen, sind es aber 43,6 Prozent, die sich nicht zugehörig fühlen (siehe Grafik). Das ergab eine GfK-Erhebung vom März, die für das neue „Statistische Jahrbuch für Migration und Integration“ der Statistik Austria durchgeführt wurde. Das Jahrbuch wurde am Mittwoch präsentiert.
So schwach das Zugehörigkeitsgefühl der eingewanderten Türken zum Land ist, so sehr fühlen sie sich hier heimisch: 71,6 Prozent fühlen sich „völlig“ oder „eher heimisch bzw. zu Hause“, auf den Rest trifft das nicht zu. Von den Ex-Jugoslawen (91 Prozent), den Polen und Rumänen (91,6 Prozent) fühlen sich noch viel mehr heimisch.
Für Migrationsexpertin Hilde Weiss vom Institut für Soziologie der Universität Wien sind die Ergebnisse nicht überraschend: Zwar würden sich auch Türken hier heimisch fühlen, weil ihnen die Infrastruktur vertraut ist oder weil sie soziale Netzwerke pflegen. Am Zugehörigkeitsgefühl mangle es aber, „weil sie wissen oder glauben: Wir werden nicht akzeptiert und immer als Ausländer angesehen.“ Es gebe ein „kollektives Bewusstsein begrenzter Anerkennung“. Migranten aus früheren kommunistischen Ländern hätten vor allem auch deshalb weniger Probleme, weil die kulturellen Unterschiede ihrer Herkunftsländer zu Österreich geringer seien als jene der Türkei, die aber aufhole.
Weniger Bildung, weniger Jobs
Wie das „Jahrbuch“ zeigt, können Migranten bei der Bildung noch zulegen: Sie haben doppelt so oft nur einen Pflichtschulabschluss wie Österreicher, die Türken schneiden mit einem Anteil von 68 Prozent besonders schlecht ab. Andererseits hat mehr als ein Drittel der Migranten zwischen 25 und 64 Matura oder einen Uni-Abschluss – bei den Österreichern ist es nur ein Viertel. Migranten der ersten oder zweiten Generation sind hierzulande eher arbeitslos als Österreicher, sie werden eher verurteilt, sind aber auch eher Opfer von Straftaten.
1,468 Millionen Menschen in Österreich (17,8 Prozent) haben Migrationshintergrund. Die meisten kommen aus Deutschland (213.000), Serbien, Montenegro und dem Kosovo.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.08.2010)