Warum die Pfadfinder zeitgemäßer denn je sind

Die perfekte Schule für das Leben: Ein Kommentar zum 100-Jahr-Jubiläum der Jugendbewegung in Österreich.

Als Pfadfinder ist man es gewohnt, belächelt zu werden. Gerade als Halbstarker machen es einem die Gleichaltrigen nicht leicht. Pfadfinderei gilt in der Peergroup nicht gerade als lässig. Doch da muss man durch. Spätestens, wenn man es durch die Pubertät geschafft hat, ohne sich dem sozialen Druck zu beugen, weiß man es besser: Pfadfinderei ist die perfekte Schule fürs Leben, erdet, stiftet Sinn und bildet die Persönlichkeit. Man hat gelernt, für sich und andere zu sorgen, sich zu engagieren: zuerst draußen in der Natur und später ganz selbstverständlich auch überall sonst.

Dieses Prinzip – jungen Menschen durch Erlebnispädagogik und gemeinschaftliche Aktivitäten zu einem erfüllten, möglichst bewussten Leben zu verhelfen – hat sich im Wesentlichen seit Gründung der Pfadfinder vor über 100 Jahren nicht verändert. Was seiner Zeit voraus war, hat sich als zeitlos bewährt.

Anders als früher haben sich die Pfadfinder heute allerdings der Konkurrenz einer riesigen Freizeit- und Verwahrungsindustrie für Kinder und Jugendliche zu stellen. Für alle Vorlieben, für jede Begabung gibt es Kurse, Workshops und Sommer-Camps; vom Klavierunterricht über Ballettstunden bis zur sportlichen Betätigung im Fußballverein oder Westernreitclub. Gegenüber allen diesen Angeboten bietet die Pfadfinderei jedoch einen entscheidenden Vorteil: Bei den Pfadfindern geht es nicht primär um Leistung in einer einzelnen Disziplin. Vielmehr ermöglichen die Pfadfinder jedem Heranwachsenden, seine Talente, seine Stärken und Schwächen kennenzulernen und möglichst konstruktiv damit umzugehen. Sie geben Frei- und Spielraum in einem generell enger werdenden und durch Leistungsdruck durchökonomisierten Alltag. Ziel ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit ist die individuelle „Bereitschaft zum Abenteuer des Lebens“ – um einen der Pfadfinderschwerpunkte hervorzuheben.


Nur von außen einheitlich. Dabei handelt es sich bei den Pfadfindern nur für Nichteingeweihte um eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Tatsächlich ist die Bewegung bunt und vielfältig wie das Leben selbst. Nicht nur global betrachtet, sondern auch in Österreich: Kirchennahe konservative Gruppen finden sich genauso wie linksliberale. Dennoch funktionieren diese Gemeinschaften alle gleich – basisdemokratisch, autonom und weitgehend ideologiefrei.

„Unzeitgemäß“ ist bei den Pfadfindern bloß zweierlei: Anders als beim weiblich dominierten Lehrpersonal im Schulsystem gibt es bei den Pfadfindern ein ausgewogenes Verhältnis zwischen pädagogisch trainierten männlichen und weiblichen Bezugspersonen. Gleichberechtigung wird außerdem auf jeder Ebene gelebt: Wo sonst kann man beobachten, wie Menschen jeden Alters und aus verschiedensten Schichten ohne Hierarchien zusammenarbeiten? Wird ein Pfadfinderheim renoviert, ein Sommerlager oder Fest organisiert, wirkt jeder nach seinen Fähigkeiten mit. Das Motto der Allerkleinsten lautet nicht zufällig: „So gut ich kann.“

Als Pfadfinder gewöhnt man sich daran, all den Vorurteilen gelassen mit einem Lächeln zu begegnen – und möglichst mit gutem Beispiel voranzugehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.