Alarmierende "Zustände" bei Kampusch-Ermittlung

Alarmierende Zustaende KampuschErmittlung
Alarmierende Zustaende KampuschErmittlung(c) EPA (MARCUS BRANDT)
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Der Ex-Präsident des Obersten Gerichtshofes Johann Rzeszut, seinerzeit Mitglied der sechsköpfigen Kampusch-Evaluierungskommission, fühlt sich"verpflichtet", untragbare "Zustände"aufzuzeigen.

Wien 242 Arbeitstage bzw. knapp 10.000Arbeitsstunden arbeitete die polizeiliche Sonderkommission an der Aufarbeitung des Entführungsfalles Kampusch. Ergebnis: Es gab mit Wolfgang Priklopil nur einen Täter. Und dieser beging nach der Flucht des Opfers (August 2006) Selbstmord. Ob damit der definitiv als „gelöst“ angesehene Fall wirklich abgeschlossen ist, scheint seit der tief greifenden Behördenkritik des ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichtshofes, Johann Rzeszut, äußerst fraglich. Denn: Aufseiten der– die Ermittlungen leitenden – Anklagebehörden seien eklatante „Defizite“ zu verzeichnen.

„Ich fühle mich verpflichtet, die Zustände in der Strafrechtspflege aufzuzeigen“, sagt Rzeszut, seinerzeit Mitglied der vom Innenministerium eingesetzten sechsköpfigen Kampusch-Evaluierungskommission, zur „Presse“. Rzeszut stellt sich hinter die Arbeit der polizeilichen Soko Kampusch. Insbesondere deren Leiter habe ausgezeichnete kriminalistische Arbeit geleistet, sei aber mit seinen Ermittlungsansätzen (vor allem in Richtung Mehrtäter-These) an der „beharrlichen Ignoranz“ der Anklagebehörden abgeprallt.

Er „renne sinnlos gegen eine Betonwand an“, hatte der Soko-Leiter selbst gesagt, ehe die Ermittlungen auf Wunsch der Anklagebehörden eingestellt worden waren. Im Juni 2010 nahm sich der Soko-Leiter nach Selbstvorwürfen das Leben. Er erschoss sich mit einer alten Dienstpistole. Für Rzeszut liegt ein Zusammenhang zwischen dem Suizid und der aus Sicht des Soko-Leiters vergeblichen Arbeit im Fall Kampusch klar auf der Hand.

Um neue Prüfung ersucht

Die konkret kritisierten Anklagebehörden, die Staatsanwaltschaft Wien und die Oberstaatsanwaltschaft Wien (dieser war der hochrangige Grazer Sonderermittler Thomas Mühlbacher für den Fall Kampusch eigens dienstzugeteilt) weisen die Vorwürfe, sich bestimmten Ermittlungsansätzen einfach widersetzt zu haben, zurück. Der Vorstoß von Rzeszut sei unverständlich. Man sehe keinen weiteren Erhebungsbedarf.

Wie berichtet, wurde jedoch die Generalprokuratur von der Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien ersucht, eine – unbefangene– Staatsanwaltschaft im Sprengel Linz oder Innsbruck „mit der weiteren Prüfung zu betrauen“. Im Rahmen dieser Überprüfung der verantwortlichen Anklagebehörden könnte auch die tiefer gehende Befassung mit dem Entführungsfall notwendig werden.

Rzeszut bleibt jedenfalls bei seiner Kritik. Er fühle sich als früherer OGH-Präsident der österreichischen Justiz nach wie vor eng verbunden, aber: Das „Funktionsverständnis einzelner Verantwortungsträger“ sei absolut zu hinterfragen. Denn: „Ich mache mir Sorgen um die österreichische Strafrechtspflege.“

Verdächtige Baggerarbeiten

In der Tat scheint es nach wie vor Ungereimtheiten im Entführungsfall zu geben. Zum Beispiel ergaben polizeiliche Nachforschungen, dass Ernst H., der seinerzeitige Freund und Geschäftspartner des Entführers Wolfgang Priklopil, Baggerarbeiten auf dem Priklopil-Grundstück (dort war auch das Verlies) durchgeführt hatte, und zwar in zeitlicher Nähe zur Entführung – diese fand im März 1998 statt. Natascha Kampusch floh achteinhalb Jahre später.

Auf diese Baggerarbeiten geht auch jene umfangreiche Sachverhaltsmitteilung von Rzeszut ein, die er kürzlich an die fünf Klubobleute im Parlament geschickt hat. Darin heißt es auf Seite 19: „Der Priklopil-Freund gibt zu, [...] einen Bagger auf das von Wolfgang Priklopil bewohnte Anwesen, Straßhof, Heinestraße60, verbracht, für entsprechende Arbeiten des Priklopil dort bis zum Abtransport [...] im Mai 1998 belassen und mit dem Gerät auch selbst gelegentlich auf dem Grundstück, wie er sagt, ,geübt‘ zu haben.“ Angesichts des auch von Natascha Kampusch zugestandenen Umstandes, dass das Verlies zum Zeitpunkt der Entführung noch gar nicht fertiggestellt war und die Fertigstellung der Belüftungsanlage auch Erdbewegungen erfordert hatte, scheinen weitere Erhebungen durchaus sinnvoll. Ernst H. hat den Verdacht der Mittäterschaft immer zurückgewiesen. Diesbezügliche Ermittlungen wurden eingestellt. Vom Vorwurf der Begünstigung wurde er freigesprochen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2010)

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