Gericht: „Psychiatrische Gutachten in Fließbandarbeit“

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Gericht bdquoPsychiatrische Gutachten Fliessbandarbeitldquo(c) APA/ROBERT PARIGGER (ROBERT PARIGGER)
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Expertisen, die von Experten pulverisiert werden, Mängel bei gerichtlichen Gutachten - eine Prozessbegleiterin über die harte Kritik an der heimischen Sachverständigenszene.

[LINZ] Eine 16-jährige, die jahrelang von ihren Großeltern, einem Nachbarn und einem pensionierten Richter missbraucht worden sein soll, lässt die Frage nach dem Wert von gerichtlichen Gutachten erneut aufkommen. Denn die vier Verdächtigen wurden am Mittwoch aus der U-Haft entlassen. Die Aussagen des mutmaßlichen Opfers enthielten Widersprüche. Wie oft psychiatrische Expertisen rund um solche Aussagen fehlerhaft sind, erklärt Prozessbegleiterin Margreth Tews.


Die Presse: Wie häufig sind Fehleinschätzungen derartiger Gutachten?

Margreth Tews: Häufiger, als man glaubt. Das beweisen allein die Wiederaufnahmen, die zuletzt öffentlich geworden sind, wobei die Dunkelziffer sicher höher ist.

Wie beurteilen Sie demnach den aktuellen Grazer Fall?

Ich halte es für ungewöhnlich, dass man vier Verdächtige eine so lange Zeit inhaftiert, wenn es angeblich nur die Aussage des Opfers dazu gibt. Ich kenne den Fall selbst nur aus den Medien. Aber die Tatsache der langen U-Haft, obwohl die Ermittler angeblich nichts in der Hand haben, gibt mir zu denken.

In letzter Zeit werden Fälle von Fehlurteilen und unschuldig Verurteilten publik, deutsche Gutachter pulverisieren die Expertisen von mitunter prominenten heimischen Berufskollegen. Machen die österreichischen Gutachter einen schlechten Job?

Ein prinzipielles Problem ist die lange Dauer, bis ein Gutachten vorliegt. Gerade in kritischen Fällen – es geht hier ja um schwerwiegende Vorwürfe für die Beschuldigten und in der Regel um Kinder mitten in ihrer Entwicklung – müsste das wesentlich schneller gehen.

Woran liegt das?

Es gibt regelrechte Monopole im Bereich der psychiatrischen und psychologischen Gutachten. Manche Sachverständige werden durch prominente Kriminalfälle bekannt und erlangen ein Star-Image. Und auch Richter haben persönliche Präferenzen. Das ist menschlich.

Wie sollte die lange Verfahrensdauer verkürzt werden?

Gutachten sollten nicht mehr so konzentriert auf einige wenige Sachverständige verteilt werden. Bei Obsorgefällen gibt es noch ein generelles Problem: den häufigen Richterwechsel. Das hierarchisch leider nicht besonders angesehene, aber meist emotionsgeladene Familienrecht ist für viele Richter der erste Job. Mein Eindruck ist, dass viele mit der Aufgabe überfordert sind oder auch aus Karrieregründen in einen anderen Fachbereich wechseln möchten.


Kritisiert wird oft auch mangelnde Sorgfalt und Professionalität.

Das ist das nächste Problem. Wir brauchen einen Kriterienkatalog, der festlegt, wie so ein Gutachten überhaupt auszusehen hat. In Deutschland gibt es das bereits; das ist der große Unterschied.

Woran scheitert dann die Festlegung verbindlicher Standards in Österreich?

Das weiß ich nicht. Prinzipiell ist es wohl die Auffassung: Das haben wir immer so gehandhabt – warum sollten wir das ändern?

Sie begleiten immer wieder Mandanten im Prozess, deren österreichische Gutachten durch Obergutachten quasi umgedreht werden. Welche Mängel werden konkret festgestellt?

Die Mängel wurden teils als so vielfältig und gravierend angesehen, dass die Gutachten als völlig ungeeignet zur Beantwortung der gestellten Frage überbegutachtet wurden. Beim konkreten Fall eines inzwischen nicht mehr zertifizierten Salzburger Gerichtssachverständigen, gegen den kriminalpolizeilich ermittelt wurde und dessen Fall jetzt bei der Staatsanwaltschaft anhängig ist, konnte man nachweisen, dass die Gutachten Fließbandarbeit waren. Es gibt Befunde, die über eine Länge von mehreren Seiten einschließlich der Rechtschreibfehler deckungsgleich sind. Juristen, Ärzte, Universitätsprofessoren, Beamte und Arbeiter wurden mit einer angeblich krankhaften narzisstischen Persönlichkeitsstörung sowie einer Überidentifikation mit ihren Kindern punziert.

Der Wiener Psychiater Max Friedrich hat in einem Interview gesagt, dass Prozessbegleiter wie Sie bewusst versuchen, Gutachter zu demontieren, und Fehler suchen, um deren Kompetenz infrage zu stellen.

Dazu kann ich nur sagen: Wenn ich ein Gutachten so mangelhaft erstelle, dass ich angreifbar bin, darf ich mich über Kritik nicht wundern. Wenn ich nichts zu verbergen habe und meine Arbeit mit der gebotenen Qualität und Sorgfalt erledige, kann ich mir nicht vorstellen, warum eine Vertrauensperson bei der Befunderhebung oder beim Besuch beim Jugendamt stören sollte.

Zur Person

Margreth Tews: Die Linzer Prozessbegleiterin und Mediatorin betreute unter anderem Albin K. sowie Wolfgang E. Beide wurden, wie sich herausstellte, zu Unrecht des Missbrauchs Minderjähriger beschuldigt. Tews ist auf Besuchsrecht, Obsorgefälle, Begleitung zu Jugendämtern und Befunderhebungen spezialisiert. [Atelier Mozart]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2010)

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