Nordkaukasus: Fragile Stabilität in Tschetschenien

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Der kaukasische Landstrich sucht den Weg aus dem Kriegschaos. In Tschetschenien ist die von Kadyrows gefürchteten Mannen mit brutaler Härte geschaffene Stabilität brüchig.

Nicht lange ist es her, da war noch die neue Moschee das Lieblingsprojekt von Republikspräsident Ramsan Kadyrow. Wer heute durch die Hauptstadt der nordkaukasischen Republik fährt, sieht hinter dem Gebetshaus schon die weltliche Materie in den Himmel wachsen. Hochhäuser zeichnen die ersten Konturen eines modernen Stadtteils. „Grosny-City“ gewissermaßen, das Pendant zu „Moscow-City“, jenem gigantomanischen Bürokomplex, der die Wiederherstellung alter Potenz symbolisieren sollte.

Moskau als Vorbild im Nordkaukasus. Putin als Ikone. Ein „Geschenk Gottes“ sei der russische Premier, beliebt Kadyrow zu sagen. Er selbst aber sei „ein Diener des Volkes“, wie er es gegenüber der „Presse“ einmal auf den Punkt brachte.

Seit 2007 dient er von Putins Gnaden, nachdem sein Vater Achmad als Republikspräsident 2004 in die Luft gesprengt worden ist. Wie viele der sogenannten Warlords hatten auch die Kadyrows in den 90er-Jahren noch gegen Moskau gekämpft, ehe sie die Seiten wechselten. Nach zwei verheerenden Kriegen (1994 bis 1996 und 1999 bis 2001) setzte Moskau auf den Kadyrow-Clan, um die Republik zu befrieden und die Kontrolle zu etablieren. Kadyrow sieht es als seine Aufgabe, die restaktiven Rebellen – in der russischen Diktion heißen sie „Banditen“ – aus den Wäldern zu locken. Aufbau ist sein Motto. Rückkehr der Flüchtlinge sein Wunsch. Dazu signalisiert er Stabilität, die in der Tat höher ist als in den umliegenden Republiken Inguschetien und Dagestan.

Brutale Härte

Aber auch in Tschetschenien ist die von Kadyrows gefürchteten Mannen mit brutaler Härte geschaffene Stabilität brüchig. Ende Oktober haben antirussische Untergrundkämpfer im Parlament ein Blutbad angerichtet, Ende August in Kadyrows schwer bewachtem Heimatort Zenturoj.

Tschetschenien, ein gebirgiger Landstrich, kleiner als die Steiermark. In den 90er-Jahren wollte er sich unter der Führung nationalistischer Separatisten von Russland lossagen. Im Zweiten Krieg – begonnen mit Putins Machtantritt – wurden Motive und Frontverläufe immer diffuser. Zum Separationsgedanken kam die Infiltrierung durch islamistische Kräfte. Die anhaltende sozioökonomische Katastrophe mit Massenarmut und hoher Arbeitslosigkeit sei der Nährboden für ihren zwischenzeitlichen Erfolg, wie Alexej Malaschenko, Kaukasus-Experte des Moskauer Carnegie-Zentrums, für den Kaukasus diagnostiziert. Dazu kämen die Entfremdung von Moskau, die Blutrache, kriminelle Abrechnungen, Korruption.

Kadyrow, selbst Anhänger eines puristischen Islam, hat die Rebellen teils vernichtet, zur Aufgabe gezwungen oder außer Landes gedrängt. Gänzlich los ist er sie nicht. Ihr nationalistischer Flügel träumt von einer unabhängigen eigenständigen Republik Itschkeria, ihr islamistischer von einem transnationalen Emirat.

Kadyrow steht für brutale Schonungslosigkeit ihnen gegenüber. Und für den Aufbau seiner Republik. Dass dafür nicht nur Geld aus Moskau zum Einsatz kommt, sondern jeder Geschäftsmann erpresst wird, wie unisono erzählt wird, fügt sich in das Bild. Und dass die Stabilität nur relativ ist, hat laut Beobachtern auch damit zu tun, dass die föderalen Truppen und Geheimdienste bestens mit Einsätzen im Nordkaukasus verdienen können.

Die Menschen in Tschetschenien sind heute mit dem Überleben beschäftigt. Und sie sind unpolitisch geworden, auch wenn Kadyrow bei Wahlen sowjetische Traumergebnisse zu erzielen versteht. Traditionellerweise lieben die Tschetschenen die Institution eines Alleinherrschers nicht. Aber Moskau hat vor Jahren andere Möglichkeiten verworfen und auf Kadyrow gesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2010)

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