Die Obduktion bestätigt, dass der Dreijährige in Bregenz erschlagen wurde. Auch sein Bruder wurde misshandelt. Der mutmaßliche Täter ist flüchtig.
Bregenz/Red./Duö. Es gab keinen Verdacht auf Missbrauch. Aber: Es gab offenbar Hinweise auf Vernachlässigung der Betreuungspflichten. Das erklärten Bezirkshauptmann Elmar Zech und Werner Grabher von der Jugendwohlfahrt Vorarlberg am Montag in einer eilig einberufenen Pressekonferenz zum Fall Cain: Der dreijährige Bub starb am Samstagabend, nachdem er vom Lebensgefährten seiner Mutter zu Tode geprügelt worden sein soll.
Im vergangenen Juli wurde die Polizei informiert, dass der ältere Bub (6) vom Balkon auf das Dach des Wohnhauses gestiegen sei. Zu diesem Zeitpunkt hat der mutmaßliche Täter Milosav M. (25) die Kinder beaufsichtigt. Die Jugendwohlfahrt intervenierte in diesem Fall nicht.
Im August erhielt die Jugendwohlfahrt einen Hinweis aus dem privaten Umfeld der Mutter: M. solle sich in der Drogenszene aufhalten. Mutter und Kinder seien allerdings nicht gefährdet, soll die Betroffene der Jugendwohlfahrt in einem anderen Gespräch mitgeteilt haben.
Die Mutter der zwei Buben stand jedenfalls ab 2005 mit der Jugendwohlfahrt in Kontakt. Zunächst wurde sie von einem ambulanten Familiendienst betreut, da sie sehr jung Mutter geworden sei, so Werner Grabher. Die Frau war damals 20. Später, ab 2007, wurde die Jugendwohlfahrt mit der Regelung von Unterhaltszahlungen betraut, hieß es weiter. Der Vorarlberger Kinder- und Jugendanwalt Michael Rauch betont, dass die Jugendwohlfahrt nur aufgrund von Verdachtsmomenten oder konkreten Meldungen handeln könne. In diesem Fall habe es keine konkrete Meldung gegeben. Allerdings: „Nach jetziger Einschätzung denke ich, dass die Nachbarn reagieren hätten können“, so Rauch. In diversen Medienberichten hatten Nachbarn der betroffenen Familie berichtet, dass der mutmaßliche Täter zugegeben habe, den Buben geschlagen zu haben. Zudem soll M. anderen Kindern in der Nachbarschaft Geld geboten haben, damit sie auf den dreijährigen Cain und dessen Bruder aufpassen.
Obduktion: „Massive Gewalt“
Zu der Tat kam es am Samstag im Bregenzer Stadtteil Vorkloster. M. verständigte um 19.20 Uhr den Notruf und erklärte, der Bub sei über die Treppe gestürzt. Für Cain kam jede Hilfe zu spät. Eine am Montagnachmittag durchgeführte Obduktion der Leiche des Dreijährigen bestätigte den Verdacht auf Misshandlung. „Das Kind wurde durch Schläge schwerst misshandelt und ist an diesen Verletzungen gestorben“, hieß es in der Aussendung der Sicherheitsdirektion. Zudem seien ältere Verletzungen festgestellt worden. Auch der sechsjährige Bruder, der ebenfalls untersucht wurde, wurde geschlagen, so die Gerichtsmedizin.
M. – er ist seit rund sechs Monaten Partner der Mutter – ist seither flüchtig, gegen ihn wurde ein internationaler Haftbefehl erlassen. Er soll sich in der Schweiz aufhalten. Dem mutmaßlichen Täter droht eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren. M. ist wegen mehrerer Gewaltdelikte amtsbekannt. Er war wegen „körperlicher Probleme“ als Frühpensionist gemeldet, so Norbert Schwendinger vom Landeskriminalamt.
Zahl der Delikte leicht gestiegens
Die Jugendwohlfahrt in Vorarlberg betreut jährlich zwischen 50 und 60 Kinder, die Gewalt in der Familie erfahren. Österreichweit ist die gezählte Zahl an Gewalttaten gegen Minderjährige gestiegen. Zwischen Jänner und September 2009 wurden insgesamt 1650 Personen wegen Gewalt an unter 14-Jährigen angezeigt. Im selben Zeitraum 2010 waren es bereits 1735. Vorarlbergs Jugendanwalt Rauch glaubt allerdings nicht, dass die Misshandlungsfälle zugenommen haben. „Es gibt bessere Schutzmaßnahmen, etwa in Kindergärten. Es wird hingeschaut, und die Fälle werden bekannter.“ Dass bei Gewalteinwirkung auch ein Kind stirbt, sei letztlich ein „dramatischer Einzelfall“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2011)