Atomalarm in Österreich: Was wäre, wenn?

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Österreich ist von Atomkraftwerken im benachbarten Ausland geradezu umzingelt. Gibt es ein Frühwarnsystem? Schutzmöglichkeiten für den Einzelnen? Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Katastrophenschutz.

1 Wer informiert die Bevölkerung von einem Kernkraftwerksunfall?

Die behördlichen Empfehlungen an die Bevölkerung und etwaige Schutzmaßnahmen würden im Ernstfall vom staatlichen Krisen- und Katastrophenschutzmanagement koordiniert, das beim Innenministerium eingerichtet ist. Diesem Gremium gehören auch die Innenministerin sowie Vertreter aus den Bundesländern und von Rettungsorganisationen an.

Damit die Informationen möglichst rasch an die Öffentlichkeit gelangen, können der ORF und die Austria Presse Agentur in das Krisenmanagement eingebunden werden. Österreich verfügt außerdem über ein flächendeckendes Sirenenwarnsystem.

2 Gibt es ein Frühwarnsystem für radioaktive Strahlenbelastung?

Ja, es nennt sich Strahlenfrühwarnsystem, besteht aus 336 Messstationen und wird vom Umweltministerium betrieben. Mit einer durchschnittlichen Entfernung von 15 Kilometern zwischen den Messstellen ist das Staatsgebiet gut erfasst. Ballungszentren sind mehrfach bestückt. Die Daten werden permanent an die Bundesstrahlenwarnzentrale und die Landeswarnzentralen übermittelt (auf der Teletext-Seite 623 sind sie übrigens für jeden einsehbar). Die Behörden haben auch Zugriff auf die Daten aus ausländischen Frühwarnsystemen.

In den Grenzräumen gibt es zehn automatische Luftmonitore, mit denen radioaktive Stoffe (Alpha-, Beta-, Gammastrahlung) in der bodennahen Luft bestimmt werden können. Diese Geräte sind jeweils in Hauptwindrichtung der nächstgelegenen Kernkraftwerke im Ausland aufgestellt.

Das Bundesheer verfügt außerdem über fünf Kompanien der ABC-Abwehrschule, die auf radioaktive Strahlung spezialisiert sind. Sie sind in Korneuburg (NÖ), Linz-Ebelsberg, Mautern (NÖ), Graz und Absam (Tirol) stationiert.

3 Wie funktioniert das Warnsystem auf internationaler Ebene?

Österreich hat mit allen Nachbarstaaten, die Kernkraftwerke betreiben, Abkommen für eine frühzeitige Warnung im Katastrophenfall. Darüber hinaus gibt es internationale Meldesysteme für Störfälle. Das Unfallland ist verpflichtet, betroffene Staaten unverzüglich zu informieren. Anhand von Wetterprognosen können die Experten im jeweiligen Land dann genau abschätzen, inwieweit bzw. in welchen Regionen Gefahr im Verzug ist.

4 Wie kann sich der Einzelne vor Strahlenbelastung schützen?

Häuser in massiver Bauweise bieten bei Atomkraftwerksunfällen einen sehr hohen Schutz. Man sollte alle Fenster und Türen schließen und – besonders bei alten – die Fugen mit breiten Klebestreifen abdichten. Ein Radio oder TV-Gerät sollte eingeschaltet werden, um die Anordnungen der Behörden beachten zu können.

Ratsam ist ein Vorrat an Nahrungsmitteln, besonders aber an Wasser und Kaliumjodidtabletten, die allerdings erst nach ausdrücklicher Empfehlung eingenommen werden sollten (siehe dazu die nächsten beiden Fragen). Sollte sich ein (kurzer) Aufenthalt im Freien nicht vermeiden lassen, können feuchte Tücher, die vor Mund und Nase gehalten werden, als Atemschutz dienen.

Nach dem Durchzug der radioaktiv kontaminierten Luftmassen sollten nur Lebensmittel gegessen werden, die entweder vor der Bedrohung hergestellt wurden oder nur gering belastet sind.

5 Gibt es einen Vorrat an Kaliumjodid für den Ernstfall?

Zum Schutz der Risikogruppen – Kinder, Jugendliche, Schwangere und Stillende – bevorratet Österreich sechs Millionen Packungen Kaliumjodid-Tabletten (zu je zehn Stück). Sie werden in allen Apotheken und Krankenanstalten gelagert, außerdem gibt es eine Bundesreserve. In Schulen und Kindergärten wird für jedes Kind die erste Tagesdosis Kaliumjodid bereitgehalten.

Die verfügbaren Chargen werden laufend überprüft. Die letzte Qualitätsanalyse sei erst im Jänner erfolgreich abgeschlossen worden, verlautbarte das Gesundheitsministerium am Montag.

6 Was bewirken diese Kaliumjodid-Tabletten?

In der richtigen Dosierung verhindern Kaliumjodid-Tabletten die Aufnahme von radioaktivem Jod durch die Schilddrüse – und verringern so das Risiko, an Schilddrüsenkrebs zu erkranken. Denn die Schilddrüse nimmt kein Jod mehr auf, wenn schon welches eingelagert ist (es kommt zu einem Blockadeeffekt).

Personen ab 40 Jahren sollen (grundsätzlich) auch im Ernstfall kein Kaliumjodid zu sich nehmen. Der Grund: Ein allfälliger Schilddrüsenkrebs manifestiere sich erst nach sehr langer Zeit und würde bei Personen, die ab ungefähr 40 mit radioaktiven Stoffen in Berührung kommen, zeitlebens wahrscheinlich nicht mehr ausgelöst, erklärt der Vizepräsident der Apothekerkammer, Leopold Schmudermaier, der „Presse“. Andererseits könne zu viel Jod bei älteren Personen zu Folgeerkrankungen führen – etwa einer Schilddrüsen-Überfunktion.

Generell sollte Kaliumjodid nur auf Anordnung der Behörden eingenommen werden. Droht nämlich keine Strahlenbelastung, kann es eine schädliche Wirkung entfalten.

7 Welches Krisenmanagement gibt es in der Millionenstadt Wien?

In Wien laufen im Ernstfall alle Fäden zunächst in der rund um die Uhr besetzten Nachrichtenzentrale der Berufsfeuerwehr zusammen. Nach einer ersten Lagebeurteilung kann innerhalb kürzester Zeit die Katastrophenleitzentrale in Betrieb genommen werden. Bürgermeister und Magistratsdirektor werden verständigt, im Einsatzstab sitzen neben Vertretern der Stadt auch Mitglieder von Rettungsorganisationen, Polizei und Bundesheer. Dieser Stab wäre spätestens eine Stunde nach Alarmierung arbeitsfähig.

Werner Hiller, oberster Wiener Krisenmanager, erklärt: „Wir haben für jedes denkbare Katastrophenszenario Einsatzpläne erarbeitet, die ständig auf den neuesten Stand gebracht werden.“ Im Fall eines Atomalarms würde man an die Bevölkerung appellieren, in den Häusern und Wohnungen zu bleiben und über die Medien die aktuelle Lage zu verfolgen.

Pläne für großflächige Evakuierungen von Bezirken oder Stadtteilen gäbe es nicht. Nach einem Erdbeben mit eingestürzten Häusern und zahlreichen Obdachlosen könne Wien auf über das Stadtgebiet verteilte Gebäude wie Speisesäle, Turnsäle, Schulen oder Messehallen zurückgreifen, sagt Hiller.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2011)

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