Vassilakou will Flucht ins Grüne bekämpfen

(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
  • Drucken

Die Sehnsucht nach dem Häuschen im Grünen mit allen Mitteln bekämpfen und der Stadtflucht einen Riegel vorschieben: Geht es nach Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, sollen die Wiener in Wien bleiben.

Wien. Nicht nur Wien wächst immer schneller, auch der Bevölkerungszuwachs in den Umlandbezirken und Vororten übertraf in den vergangenen Jahren die Prognosen. Für Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou ein Dorn im Auge. Sie sieht der zunehmenden Stadtflucht mit Skepsis und Argwohn entgegen. Die „romantische Sehnsucht“ vieler junger Familien nach dem Häuschen im Grünen stelle Wien vor enorme Herausforderungen und müsse bekämpft werden.

Die Zahlen: Laut Statistik Austria lebten in der Bundeshauptstadt am 1. Jänner heurigen Jahres 1.714.142 Menschen, um 15.320 bzw. 0,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit stieg die Bevölkerungszahl Wiens in einem Jahr dreimal so stark wie im Durchschnitt Österreichs. Ein Ende ist nicht in Sicht: Das Wachstum hat sich auch im ersten Quartal 2011 fortgesetzt. Der Bevölkerungszuwachs ist zum überwiegenden Teil der Zuwanderung zu verdanken.

Gleichzeitig zeigt die Binnenwanderung in Wien einen ausgeprägten Trend zur Suburbanisierung. Vor allem junge Wiener zwischen 20 und 34 Jahren zieht es immer häufiger aufs Land. Allein im vergangenen Jahr zogen 28.899 Menschen aus Wien weg, 2009 waren es sogar 29.116.

Angsträume und Monokulturen

Eine Entwicklung, der Vassilakou „einen Riegel vorschieben“ will. „Jedes junge Pärchen mit einem Kind glaubt, aufs Land ziehen und sich den Traum vom viel zitierten Häuschen im Grünen erfüllen zu müssen“, diagnostizierte die Planungsstadträtin am Dienstagabend im Gespräch mit Experten und Wirtschaftstreibenden. Thema der Veranstaltung, die von der „Presse“ in Kooperation mit T.O.C. (Tecno Office Consult) organisiert wurde, war die Stadtentwicklung in Wien.

Der immer größer werdende Speckgürtel rund um Wien und das damit einhergehende tägliche Pendeln sind laut Vassilakou mit allen Mitteln zu bekämpfen. Das Leben in der Stadt müsse wieder attraktiver werden, damit die Wiener wieder gern in Wien leben.

„Die Anforderungen an die Lebensqualität in Wien sind auch durch die Abwanderung stark gewachsen“, so die Vizebürgermeisterin. „Die Menschen in Wien müssen das Gefühl haben, den öffentlichen Raum barrierefrei nutzen und sogar mitgestalten zu können. Angsträume und Monokulturen mit beispielsweise wohnraumdominierten Bezirken haben ausgedient.“

Vassilakou sprach sich auch für den Schutz von Gewerbegebieten aus. Es dürfe nicht angehen, dass in manchen Stadtteilen nach Sonnenuntergang kein Mensch mehr auf der Straße zu sehen sei, weil es an Gastronomie und Unterhaltung mangle. „Und man betteln muss, damit sich in der Gegend zumindest ein kleiner Gastro-Betrieb ansiedelt.“

Menschen nicht umerziehen

Man könne die Leute nicht umerziehen, entgegnet Buwog-Chef Daniel Riedl. „Das funktioniert vielleicht bei Kaugummis, nicht aber bei Immobilien und der Stadtplanung. Vielmehr muss man ihre Bedürfnisse erkennen und befriedigen.“

Wenn der Kunde in einer Stadtwohnung mit Dachterrasse wohnen wolle, solle er sie auch bekommen. Für ihn stehe die Individualität im Vordergrund, wobei er bei jedem neuen Bauprojekt auf eine soziale Durchmischung Wert lege. Denn: „Für eine Wohnungsgesellschaft gibt es nichts Schlimmeres als soziale Brandherde.“ Die Folgen solcher Brennpunkte hat man laut Riedl in jüngerer Vergangenheit an den brennenden Autos in Paris und Berlin sehen können. Auch wenn in Wien soziale Unruhen und Krawalle eher unwahrscheinlich seien, weil die Stadt „historisch gut gebaut“ sei, stehe sie vor großen Aufgaben wie etwa der „optimalen Verwertung von Ressourcen“, erklärte Philipp Kaufmann. Er ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI) und mahnte „Mut zum Paradigmenwechsel hin zur Nachhaltigkeit“ ein. Nachhaltigkeit forderte bei der von Rainer Nowak, redaktionellem Leiter der „Presse am Sonntag“, moderierten Podiumsdiskussion auch die Wiener Architektin Regina Freimüller-Söllinger. Moderne Stadtplanung sei ein interdisziplinärer, grenzübergeifender Prozess und müsse auch die übernächste Generation berücksichtigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.