Heimskandal: Zeugin spricht von Todesfällen

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Im Erziehungsheim am Schloss Wilhelminenberg soll es nicht nur zu Serienvergewaltigungen gekommen sein. Opferanwalt Johannes Öhlböck berichtet auch von Todesfällen, als „Folge von Misshandlungen“.

Wien. In dem 1977 aufgelassenen Kinderheim am Schloss Wilhelminenberg soll es auch zu Todesfällen aufgrund von Misshandlungen gekommen sein. Das berichtete Rechtsanwalt Johannes Öhlböck, der zwei mutmaßliche Opfer von Misshandlungen vertritt, am Dienstag vor Medienvertretern.

Eine Frau, die von 1948 bis 1953 in dem Erziehungsheim untergebracht war, soll die Schilderungen seiner beiden Mandantinnen „voll bestätigt“ und darüber hinaus von Todesfällen gesprochen haben. „Kinder sind zu Tode gekommen. Das Opfer hat das sehr authentisch geschildert“, so der Anwalt. Details dazu könne er nicht nennen, sie seien noch Gegenstand von Untersuchungen.

Stadt bestätigt Anzeige

In einem Fall soll die mittlerweile 70-Jährige unmittelbare Zeugin eines Vorfalls gewesen sein und den Namen des Opfers wie auch den des Täters bekannt gegeben haben. Der Tod des Kindes sei die „direkte Folge einer Misshandlung“ gewesen, sagte Öhlböck. In einem weiteren Fall habe sie von einer „Gruppe von Todesfällen“ erzählt. Nähere Umstände könne sie aber nicht beschreiben, da sie nicht persönlich anwesend war.

Die Stadt Wien teilte am Dienstag mit, dass eine Anzeige zu einem möglichen Todesfall in dem Kinderheim in den 1950er-Jahren vorliegt. Das Verfahren sei jedoch von der Staatsanwaltschaft 2010 eingestellt worden, hieß es im Büro des zuständigen Stadtrats Christian Oxonitsch (SP). Ob es sich bei dem Fall um jenen handelt, den Öhlböck erwähnt hat, konnte man mit Verweis auf die laufenden Untersuchungen nicht sagen. Auch Herta Staffa vom Wiener Jugendamt (MA11) konnte keine näheren Angaben zu eventuellen Todesfällen machen. „Herr Öhlböck hat uns keine Namen von Todesopfern genannt. Hätte er das getan, könnten wir diesen Vorwürfen auch nachgehen“, so Staffa. Zudem betonte sie erneut, dass es in dem Kinderheim bis zur Schließung keine männlichen Aufsichtspersonen gegeben habe. Öhlböck hatte diese Aussage, die auch von ehemaligen Erzieherinnen des Heims bekräftigt wurde, als „schlicht und einfach falsch“ bezeichnet. Er wisse von zumindest drei Erziehern, die im Schloss Wilhelminenberg tätig gewesen seien.

Die neue Zeugin soll auch selbst Opfer von Gewalt gewesen und mittlerweile von der Gemeinde Wien mit 35.000 Euro entschädigt worden sein. Denselben Betrag bekam eine der beiden Schwestern, die vor wenigen Tagen mit Berichten über Vergewaltigungen und Kinderprostitution in dem Heim in den 1970er-Jahren an die Öffentlichkeit gegangen waren. Die zweite Schwester ging laut Öhlböck bisher leer aus.

35.000 Euro Entschädigung

Udo Jesionek, Präsident der Opferschutzvereinigung Weißer Ring, bestätigte am Dienstag der „Presse“ die ausständige Zahlung. „Uns ging das Geld aus, und wir mussten bei der Stadt um weitere Mittel ansuchen“, sagte Jesionek. „Diese wurde vor Kurzem bewilligt, es kann sich nur noch um Tage handeln, bis auch die zweite Betroffene ihre Entschädigung erhält.“ Von Todesfällen in dem Heim wisse er nichts. Für die Überprüfung dieser Vorwürfe sei er auch nicht zuständig. Öhlböck hatte zuvor die „ambivalente Rolle“ der Stadt Wien kritisiert. Einerseits lobte er deren Bereitschaft, Schadenersatz auch bei an sich verjährten Fällen zu leisten. Die Aufarbeitung von Misshandlungsvorwürfen sei aber „nicht positiv“.

Er forderte daher, die vom Wiener Jugendamt angekündigte externe Kommission müsse eine „neue Qualität“ aufweisen. Diese solle mit Experten aller im Wiener Landtag und im Nationalrat vertretenen Parteien und unabhängigen Spezialisten besetzt werden. Der Anwalt zeigte sich überzeugt, dass in den Wiener Erziehungsheimen im Lauf der Jahrzehnte tausende Zöglinge misshandelt wurden. Was Opfer berichten, sei „absolut glaubwürdig. Eine Geschichte dieser Art kann man nicht erfinden. Das ist unmöglich.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2011)

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