Adamovich: Widersprüche im Fall Kampusch

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Widersprüchliche Angaben von Natascha Kampusch im Fokus von Ludwig Adamovich: Anhand des Entführungsfalles geißelt der ehemalige Höchstrichter Ministerkabinette als "Grundprobleme der Ministerialverwaltung".

Wien. „Das Auftauchen von Natascha Kampusch hat eine Medienkampagne sondergleichen ausgelöst und eine weltweite Welle des Mitleids mit 3096 Tagen grässlicher Gefangenschaft in der Gewalt eines psychopathischen Täters.“ So dramatisch formuliert Ludwig Adamovich, früher Präsident des Verfassungsgerichtshofs und Leiter der anlässlich des Entführungsfalls „Kampusch“ eingerichteten Evaluierungskommission, in seinem am Mittwochabend vorgestellten Buch, „Erinnerungen eines Nonkonformisten“.

Seinen eigenen Worten stellt Adamovich jene Erklärung („Offener Brief“) von Natascha Kampusch entgegen, die diese im August 2006, kurz nach ihrer Flucht, öffentlich verlesen ließ. Darin stufte sie den Entführer Wolfgang Priklopil so ein: „Ich war gleich stark, aber – symbolisch gesprochen – er hat mich auf Händen getragen und mit den Füßen getreten.“ Dass Adamovich nach wie vor an der offiziellen Darstellung des Entführungsfalles seine Zweifel haben dürfte, ergibt sich etwa aus seiner Gegenüberstellung des zitierten „Offenen Briefs“ mit Passagen des im September 2010 erschienenen Kampusch-Buches. In diesem Bestseller wiederum („3096 Tage“) schreibe das Opfer von „massiven Misshandlungen“ – in dem vorher publizierten „Offenen Brief“ finde sich davon aber „kein Wort“.

Auch stellt Adamovich konkrete Buchauszüge dem „Brief“ gegenüber. So schreibe Kampusch im Buch anlässlich ihres 18.Geburtstags in Gefangenschaft: „Ich würde bei erster Gelegenheit fliehen. Und einer von uns beiden würde das nicht überleben.“ In ihrem „Offenen Brief“ vom August 2006 heißt es mit Blick auf den Entführer: „In meinen Augen wäre sein Tod nicht nötig gewesen.“

Auch seine erstinstanzliche Verurteilung wegen übler Nachrede in Zusammenhang mit Kommentaren zur Rolle der Mutter von Natascha Kampusch beschreibt der 79-jährige Spitzenjurist. Dieses Urteil sei für ihn „eine Katastrophe“ gewesen. Erst der in letzter Instanz erfolgte Freispruch habe die eigentliche Problematik beleuchtet: Demnach sei – laut Urteilsbegründung – die „frühzeitige Abschottung des Entführungsopfers“ dem Bedürfnis nach „restloser und endgültiger Aufklärung der Causa“ entgegengestanden.

Richtige „Farbe“ als Qualifikation

Schwere Geschütze fährt Adamovich (sein Buch handelt nicht nur vom Fall Kampusch, auch der Ortstafelstreit mit Jörg Haider oder zum Beispiel die Sanktionen der 14 EU-Staaten gegen Österreich werden erörtert) auch gegen die Kabinette von Ministern auf. Schon beim Versuch, Ermittlungspannen im Fall Kampusch aufzuzeigen (Streit zwischen Ex-Bundeskriminalamtsleiter Herwig Haidinger und dem Kabinett von VP-Innenministerin Liese Prokop), hätten sich rechtsstaatliche Mängel gezeigt.

Unklar sei gewesen, ob „Weisungen“ der Kabinette (Stabsstellen an der Spitze der Ministerien) überhaupt als echte Weisungen der Ressortspitze zu qualifizieren seien. Die Probleme reichen laut Adamovich bis in die Gegenwart – und weit über den Fall Kampusch hinaus: Die Kabinette seien „eines der vielen Grundprobleme der heutigen Ministerialverwaltung.“

Weiter: „Meistens bestehen sie aus sehr jungen Mitarbeitern (Mitarbeiterinnen), deren hauptsächliche Qualifikation im politischen Naheverhältnis zum Ressortchef besteht.“ Und: „Nun mögen diese Kabinette ein notwendiges Übel sein, solange eine erträgliche Kooperation mit der hierarchischen Ministerialorganisation besteht. Das ist aber nur allzu oft nicht der Fall.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2011)

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